Just Listen - Roman
–«
In dem Augenblick tauchte eine dunkelhaarige Frau – Owens Mutter, nahm ich an – in der Haustür auf und rief nach ihr. Mallory warf einen genervten Blick über ihre Schulter. »Ich muss rein«, verkündete sie, lehnte sich aber dennoch so weit ins Wageninnere, dass ihr und Owens Gesicht sich beinahe berührten. »Aber ein andermal kommst du mit rein, oder?«
»Klar«, sagte ich.
»Tschüs, Annabel.«
»Ciao.«
Sie lächelte, richtete sich auf, winkte mir noch einmal zu. Ich winkte zurück. Gemeinsam mit Owen blickte ich ihr nach; sie lief die Stufen zur Veranda hoch und an der Hauswand entlang bis zur Tür, drehte sich dabei aber alle paar Schritte strahlend zu uns um.
»Zurzeit ist sie also ein Punk, mh?«
Owen antwortete nicht. Stattdessen hörte ich ihn mehrmals hintereinander tief Luft holen.
»Flippst du jetzt aus?«, fragte ich.
Er atmete aus. »Nein. Ich bin genervt. Ich weiß nicht, aber das passiert mir dauernd mit ihr. Anscheinend haben Schwestern das so an sich. Sie können einen echt zum Wahnsinn treiben.«
»Kenne ich«, antwortete ich.
Wieder diese Stille. Jedes Mal, wenn es auf die Weisestill wurde, war ich mir sicher, er würde aussteigen, weggehen – und dann wäre sie vorbei. Es vorbei. Und von Mal zu Mal wollte ich weniger, dass er tatsächlich ausstieg.
»Das sagst du öfter, weißt du das?«, fragte er mich.
»Was?«
»Kenne ich.«
»Du hast damit angefangen.«
»Echt?«
Ich nickte. »An dem Tag hinter der Schule.«
»Ach so.« Er schwieg einen Augenblick. »Schon eigenartig, wenn man genauer darüber nachdenkt. Ich meine, eigentlich ist es verständnisvoll gemeint. Dabei ist es das irgendwie gar nicht, sondern so, als würde man dem anderen bloß sagen wollen, dass er einem im Grunde überhaupt nichts Besonderes erzählt hat.«
Während er sprach und ich zuhörte, nahm ich wahr, wie die Kinder von vorhin auf ihren Inlinern vorbeiflitzten, Hockeyschläger über der Schulter. »Ja«, erwiderte ich schließlich. »Aber man kann es auch genau andersherum sehen, nach dem Motto: Egal, wie schlimm die Dinge für dich sein mögen, ich kann mit deinen Gefühlen etwas anfangen.«
»Ah, damit willst du also sagen, du kannst was mit mir anfangen …?«
»Nein. Absolut nicht.«
»Auch gut.« Er lachte und wandte den Kopf ab, um aus dem Fenster zu sehen. Doch vorher erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf sein Profil. Und auf einmal fielen mir all die Tage wieder ein, die ich damit verbracht hatte, ihn über unseren Abstand auf der Mauer hinweg zu beobachten.
»Okay«, meinte ich. »Vielleicht ein ganz kleines bisschen.«
Er drehte sich um, sah mich an – da spürte ich
es
erneut. Und schon wieder eine Pause, gerade lang genug, damit ich mich fragen konnte, was genau hier eigentlich abging. Doch nun öffnete er die Tür auf seiner Seite. »Also dann, danke fürs Mitnehmen.«
»Kein Problem. War ich dir schuldig.«
»Nein, warst du nicht.« Er schälte sich aus seinem Sitz. »Wir sehen uns morgen oder so?«
»Klar. Bis dann.«
Er stieg aus, schloss die Wagentür, warf den Rucksack über die Schulter, stieg die Stufen hinauf. Ich blickte ihm nach, bis er im Haus verschwunden war.
Die Reifen meines Autos lösten sich von der Bordsteinkante – ich fuhr los. Und plötzlich kam mir der ganze Nachmittag total schräg vor. Irgendwie surreal. So vieles schoss mir durch den Kopf; viel zu viel, um auch nur einen Bruchteil davon schon wirklich zu begreifen. Doch beim Weiterfahren merkte ich, dass mein Unterbewusstsein eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigt war: Die CD hatte aufgehört zu spielen. Keine Musik mehr. Früher hätte ich das vermutlich nicht einmal wahrgenommen. Aber jetzt verwirrte mich die Ruhe, die ohrenbetäubende Stille. Ich war mir nicht sicher, was es zu bedeuten hatte. Jedenfalls lehnte ich mich vor und stellte das Radio an.
Kapitel 9
Die Schöne und das Biest. Ein seltsames Paar. Shrek und Fiona. Die Gerüchte flogen mir nur so um die Ohren. Und eins muss ich den Tratschmäulern an unserer Schule lassen: Die diversen Bezeichnungen, die sie in den folgenden Wochen für Owen, mich und das erfanden, was wir wohl jeden Tag während der Mittagspause auf der Mauer trieben, zeugten von reichlich Fantasie. Mir selbst fiel es schwerer, es zu definieren. Wir waren keinesfalls zusammen, gleichzeitig aber nicht mehr auseinander. Wie so oft lag auch in diesem Fall die Wahrheit in der Mitte.
Aber was auch immer es war, das sich da zwischen
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