Just Listen - Roman
darüber weg«, erwiderte ich. »Ich wüsste nicht einmal, wie das gehen sollte.«
»Verstehe ich. Vor allem, weil du die Wut gar nicht erst zulässt.«
Die CD lief immer noch, mittlerweile ertönte ein Lied von
Rush
. Ein Minibus fuhr an uns vorbei, wirbelte die Blätter auf der Straße hoch. Ich hatte keine Ahnung, wie lang wir schon dort vor dem Haus im Auto saßen. Mir kam es jedenfalls sehr lang vor.
»Du weißt wohl für alles eine Lösung«, sagte ich.
»Absolut nicht.« Er drehte an einem seiner Ringe. »Ich versuche bloß, unter den gegebenen Umständen das Beste draus zu machen.«
»Und wie?«
Er warf mir einen Blick zu. »Von Tag zu Tag.«
Ich lächelte. »Deine Ringe gefallen mir«, sagte ich und zeigte auf seine Hände. »Sind sie genau gleich?«
»Fast. Und dann auch wieder nicht.« Er zog den Ring an seiner linken Hand ab und reichte ihn mir. »Vom Prinzip her steht einer für vorher, einer für nachher. Wie beim Friseur. Rolly hat sie für mich gemacht. Sein Vater ist Juwelier.«
Der Ring lag schwer in meiner Hand. Er war aus massivem Silber. »Rolly hat den selbst gemacht?«
»Nicht den Ring. Die Gravierung.«
»Ach so.« Ich kippte den Ring leicht nach vorne undkniff die Augen zusammen, um die Innenseite besser betrachten zu können.
Dort stand in Großbuchstaben und einer sehr eleganten, geschmackvollen Schrift LECK MICH. »Nett«, sagte ich.
»Hat Klasse, was?« Er schnitt eine Grimasse. »So war ich, bevor die Bullen mich einkassiert haben. Ich war ein bisschen …«
»Wütend?«
»Kannst du laut sagen. Den hier hat Rolly graviert, nachdem ich das Wutbewältigungstraining hinter mich gebracht hatte.« Er zog den Ring vom anderen Mittelfinger und hielt ihn mir unter die Nase. Da stand in derselben Größe und Schrift ODER AUCH NICHT.
Amüsiert gab ich ihm den Ring zurück. »Es ist immer gut, seine Alternativen zu kennen.«
»Bingo.« Er erwiderte mein Lächeln. Ich spürte, wie ich schon wieder rot wurde. Aber diesmal nicht aus Scham oder Unsicherheit, sondern wegen etwas völlig anderem. Von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es in Anwesenheit Owen Armstrongs je empfinden würde. Nie. Doch der Augenblick wurde jäh unterbrochen.
»Annabel!«
Ich wandte mich nach rechts, woher die Stimme zu uns gedrungen war. Mallory. Sie hatte sich während unseres Gesprächs anscheinend unbemerkt genähert, beugte sich vor dem Wagen zu Owens Fenster hinunter, strahlte mich an, winkte eifrig: »Hi.«
»Hi.«
Sie machte Owen wilde Zeichen, er sollte sein Fenster runterlassen. Was er schließlich auch tat, aber nur langsam und widerwillig. Sobald der Spalt groß genug war, steckteMallory den Kopf ins Wageninnere. »Wahnsinn! Hast du ein tolles Shirt! Ist das von
Tosca
?«
Ich blickte an mir herunter. »Kann sein. Meine Mutter hat es für mich besorgt.«
»Hast du ein Glück! Ich finde
Tosca
super. Ich glaube, es ist meine Lieblingsboutique überhaupt. Kommst du mit rein?«
»Ob ich mit reinkomme?«
»Ins Haus. Bleibst du zum Abendessen? Du
musst
zum Abendessen bleiben!«
»Mallory.« Owen rieb sich mit der Hand durchs Gesicht. »Hör bitte auf rumzukreischen.«
Sie beachtete ihn nicht, schob ihren Kopf noch ein Stückchen weiter ins Wageninnere. »Du könntest dir mein Zimmer anschauen.« Ihre Augen waren vor Begeisterung weit aufgerissen. »Und meinen Schrank. Ich könnte dir zeigen –«
»Mallory«, wiederholte Owen. »Geh vom Wagen weg.«
»Gefällt dir, was ich anhabe?«, fragte sie mich. Sie trat zurück, damit ich sie besser anschauen konnte: weißes, bauchfreies T-Shirt , kurze Jacke, aufgerollte Jeans und glänzende Stiefel mit dicken Sohlen. Nach einer koketten, kleinen Drehung steckte sie ihren Kopf wieder durchs Fenster. »Ich habe mich von Nicholls Lake inspirieren lassen. Sie ist zurzeit meine absolute Lieblingssängerin. Richtig toll punkig.«
Owen lehnte sich zurück, sein Kopf prallte gegen die Kopfstütze. »Nicholls Lake ist alles andere als ein Punk«, sagte er ruhig.
»Ist sie doch«, konterte Mallory. »Und wie ihr seht, bin ich es heute auch!«
»Mallory, das hatten wir doch schon, erinnerst du dich?Stundenlang haben wir über die korrekte Definition von Punk diskutiert. Hast du überhaupt schon mal in die
Black Flag -CD
reingehört, die ich dir gegeben habe?«
»Die war so laut«, entgegnete Mallory. »Außerdem kann man nicht einmal mitsingen. Nicholls Lake ist besser.«
Owen atmete tief, fast seufzend durch. »Mallory, wenn du nur ein einziges Mal
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