Justice (German Edition)
starrte auf die Straße. »Dann ist das Thema für mich erledigt. Von mir aus müssen wir nie wieder darüber reden.«
Während der restlichen Autofahrt sprachen Vater und Sohn kein Wort mehr miteinander. Milan entwickelte eine gute Methode, um seinen Ärger zu verdrängen: Er beschloss, Mitleid für seinen Vater zu empfinden. Dieser Gedanke tröstete ihn. Mitleid war die richtige Einstellung. Peter Julitz gehörte einfach zu einer anderen Generation. Es wäre vollkommen sinnlos gewesen, weiter mit ihm zu diskutieren. Er unterteilte die Welt in schwarz und weiß, in »wir und sie«. Ursachen interessierten ihn gar nicht, nur seine unmittelbare Umgebung. Wahrscheinlich war das schon immer so gewesen. Doch das war kein Grund, ihn zu verachten. Er war nicht unbedingt rassistisch, er war nur gefangen. Gefangen in dem systematischen Denken eines Landes, in dem er groß geworden war.
Als sie die Farm von Werner Julitz erreichten, hatten sie sich beide wieder etwas beruhigt und konnten sich nun auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren. Der Umzug lief ohne große Aufregung ab. Werner hatte seine Sachen schon eingepackt. Die meisten Kisten standen bereits im Hof. Jon und Walter, seine ehemaligen Mitarbeiter, die jetzt die Farm übernehmen würden, hatten Werner bei den Vorbereitungen geholfen. Zusammen mit Peter und Milan beluden sie den alten Lastwagen mit den Möbelstücken, die Werner mitnehmen wollte. Nachdem alles eingeladen war, staunte Milan, wie wenig ein Mann von achtzig Jahren besaß. Es passte alles in zwei Fahrzeuge.
Milans Großvater nahm Abschied von den Menschen, mit denen er fast sein ganzes Leben verbracht hatte. Jon und Walter kannte er, seit er die Farm gekauft hatte. Ihre Kinder waren dort auf die Welt gekommen. Werner hatte alle Phasen ihres Lebens miterlebt, sogar die Geburt ihrer ersten Enkelkinder.
Als Werner sich verabschiedete, konnten die Ehefrauen ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie drückten ihren ehemaligen Arbeitgeber lange und ausgiebig und küssten ihn auf die Stirn. Nur Werner weinte nicht. Es war ein rührender Moment, den Milan für immer in Erinnerung behalten wollte.
Das Umzugsteam fuhr in die Stadt zurück und parkte vor dem Hochhaus, in dem Milans Großvater eine kleine Wohnung gemietet hatte. Hier würde er seine letzten Tage verbringen, mit Blick aufs Meer und frischer Seeluft, der passende Ausklang seines erfüllten Lebens. Der weitere Umzug ging überraschend schnell vonstatten, dank des Aufzugs. Nur das große Landschaftsgemälde, von dem sich Werner doch nicht trennen konnte, passte nicht rein. Es war sogar so groß, dass die Männer es zu viert die Treppe hinauftragen mussten.
Im Nu war auch die letzte Kiste oben. Jon und Walter, die auch nicht mehr die Jüngsten waren, verabschiedeten sich müde und zerschlagen und versprachen Werner ein baldiges Wiedersehen. Dann kehrten sie zu ihren Familien in Kylemore zurück. Nur Werners Sohn und sein Enkel blieben in der neuen Wohnung zurück, um dem alten Mann beim Auspacken zu helfen.
Milan und sein Vater teilten sich zwischen Wohnzimmer und Küche auf, um die ordentlich beschrifteten Kisten auszupacken. Werner nahm sich sein neues Arbeitszimmer vor. Im Wohnzimmer verteilte Milan den Inhalt der ersten Kiste in den Regalen: großformatige Bücher mit Bildern, die Südafrika in all seiner Pracht zeigten; Jagdtrophäen, wie die Hörner eines Spießbocks oder der Schädel eines Schakals, eingerahmte Fotos von Familie und Freunden und eine kuriose Sammlung von Aschenbechern. In der zweiten Kiste fand Milan das Porzellan von Werners verstorbener Frau, sorgfältig verpackt.
Ab und zu kam Werner aus dem Nebenraum und kontrollierte Milans Arbeit. Er zeigte ihm, wo er die Gegenstände aufstellen sollte, und erzählte kleine Anekdoten. Auch Peter entkam Werners präzisen Anweisungen nicht. Der alte Mann war gerade auf einem solchen Besuch in der Küche, als Milan eine Kiste öffnete, die gar nicht ins Wohnzimmer gehörte.
Sie war voller Ordner. Eigentlich hätte Milan sofort erkennen können, dass die Kiste in den Nebenraum gehörte, aber stattdessen packte er die Ordner aus und stellte sie einzeln auf dem Esstisch ab. Jeder Ordner war ebenfalls beschriftet und beinhaltete Geschäftspapiere der Farm: Steuererklärungen, Ein- und Verkaufslisten, Angaben zur Ernte und zu den Löhnen. Als die Kiste leer war, warf Milan noch einen flüchtigen Blick hinein und sah einen Bilderrahmen in DIN-A4-Größe. Er lag flach auf dem Boden. Das Glas
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