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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Fermer
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war zerschmettert. Zwei große Scherben hatten sich von der Vorderseite gelöst und lagen oben auf. Milan wunderte sich, dass ausgerechnet sein Großvater einen Glasrahmen unten in eine Kiste gepackt hatte.
    Milan nahm den kaputten Rahmen heraus. Staub hatte sich hinter der zerbrochenen Glasscheibe gesammelt. Es handelte sich um ein Dokument. Eine Auszeichnung. In der oberen Ecke stand ein kleines Logo. Milan erkannte es sofort: die beiden blauen Buchstaben »N« und »P« neben einer gelben Sonne. Das Symbol der Nationalen Partei, der Partei der Apartheid.
    Er überflog rasch den Text: »Die Nationale Partei ehrt Werner Julitz für seine Leistungen im Dienst des Landes.« Milans Großvater sei »ein treues Mitglied«, das dazu beigetragen hatte, dass »die Werte Südafrikas aufrechterhalten« wurden. Milans Herz schlug ihm bis zum Hals. Das Dokument war eine Ehrung. Es war aus dem Jahr 1968. Milan las den kurzen Text zu Ende, aber es stand nicht drin, womit sein Großvater diese Auszeichnung verdient hatte.
    Bevor Milan seine konfusen Gedanken ordnen konnte, hörte er ein Geräusch hinter sich. Sein Großvater kam ins Wohnzimmer zurück. Er blieb vor dem großen Landschaftsgemälde stehen und starrte seinen Enkelsohn entsetzt an.
    »Hör mal, kannst du nicht lesen?«, sagte er schroff und zeigte auf die offene Kiste neben Milan. Das Wort ›Arbeitszimmer‹ stand gut lesbar auf der Seite.
    Milan drehte sich überrascht um. »Ich ... ich habe sie versehentlich geöffnet.«
    Mit zwei großen Schritten trat Werner auf seinen Enkelsohn zu und riss ihm den Rahmen aus der Hand. »Was machst du da?«, schnauzte er ihn an.
    Milan war erstaunt über den barschen Ton seines ansonsten so geduldigen Großvaters. Was hatte das zu bedeuten? Hatte sein Großvater ihn jahrelang angelogen? War er wirklich Mitglied der Nationalen Partei gewesen oder konnte es ein Irrtum sein? Und wenn ja, was hatte er getan, um diese Ehrung zu bekommen?
    Werner nahm den Rahmen in beide Hände und schaute das Dokument mit starren Augen an. Milan blickte verwirrt von der Auszeichnung zu seinem Großvater.
    »Was ist das?«, fragte er. Er wollte die Wahrheit wissen.
    Werner winkte ab. »Das geht dich nichts an!«, zischte er und verschwand wieder ins Arbeitszimmer, den Rahmen in der Hand.
    Milan blieb kurz stehen, dann folgte er seinem Großvater. Im Nebenraum stand der alte Mann vor dem Schreibtisch und legte die Urkunde in eine leere Schublade. Milan wartete auf der Türschwelle, bis Werner die Schublade zumachte.
    »Wofür hast du die Auszeichnung bekommen?«, fragte er mit bebendem Herzen.
    Sein Großvater fuhr herum und fauchte ihn aus Verzweiflung wieder an: »Warum steckst du deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen? Die Kiste gehört ins Arbeitszimmer. Das kann man doch nicht übersehen!«
    Milan ließ sich nicht abwimmeln. »Warst du Mitglied der Nationalen Partei?«, hakte er nach und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
    Milans Großvater warf die Hände resigniert in die Luft. Er seufzte laut. Schließlich ließ er sich kopfschüttelnd in seinen Schreibtischstuhl fallen und gab nach.
    »Mein Gott!«, fluchte er. »Du weißt doch, was ich von der Apartheid halte. Ich habe den ganzen Kram gehasst!«
    Milan atmete tief durch und wiederholte seine Frage: »Was hast du getan, Opa?«
    Werner Julitz kämpfte innerlich mit sich. Er wand sich in dem großen Stuhl, fuhr sich mit seinen Fingern durch die Haare, schlug vor Frust mit seiner Hand auf den Tisch. Schließlich drehte er sich zu seinem Enkelsohn um und hauchte: »Ich habe Scheiße gebaut!«
    Milan wartete.
    »Ich war jung«, fing Werner an. »Die Farm war neu, die ersten Ernten waren nicht ertragreich. Ich hatte Schulden. Die Regierung suchte Leute für Baumaßnahmen – so stand es zumindest in der Anzeige. Sie suchten Männer, die einen Bulldozer fahren konnten. Das konnte ich auch. Das kann jeder Farmer. Aber sie vergaben die Arbeit nur an Leute, die Mitglied der Nationalen Partei waren. Ich war verzweifelt. Was hätte ich tun sollen? Ich brauchte das Geld. Dringend. Ich bin Mitglied geworden und bekam den Job.«
    »Aber du hast doch immer gesagt ...«, Milan vollendete seinen Satz nicht.
    »Es war nur wegen des Jobs, glaub mir!«, unterbrach ihn sein Großvater energisch. »Ich hatte keine andere Wahl.«
    Milan spürte eine Mischung aus Enttäuschung und Entsetzen. Er hatte immer ein ganz anderes Bild von seinem Großvater gehabt: der wohlwollende Arbeitgeber, der in seiner kleinen Welt

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