Justice (German Edition)
die Ungerechtigkeit des Apartheid-Systems wiedergutmachte. Der große weiße Mann, der sich freute, als das alte Regime zerfiel. Der Farmer, der sich lieber mit Tieren als mit der Politik beschäftigte. Doch das Bild hatte sich im Bruchteil einer Sekunde in Nichts aufgelöst.
»Was war das für ein Job?«, fragte Milan.
Werner senkte beschämt den Kopf. »Wir mussten Häuser abreißen. Alte Häuser. Die Behörden schickten mich zum District Six. Mit acht anderen Männern. Wir haben das Viertel niedergewalzt.«
Milan starrte seinen Großvater an, als hätte er das Geständnis nicht richtig begriffen. »Du hast den District Six plattgemacht?«, wiederholte er erschrocken.
Werner nickte und mied den Augenkontakt mit seinem Enkelsohn. »Es war eine Drecksarbeit, aber wir mussten es tun.«
Milan rieb sich die Stirn. Er schnappte nach Luft. Bei der Vorstellung, dass sein eigener Großvater an der Zerstörung von District Six beteiligt war, wurde ihm schlecht. Dass Zenis Großeltern dort gelebt hatten, machte die Sache nur noch schlimmer.
»Wusstest du damals, was mit den ganzen Leuten passiert ist?«, fragte Milan fast atemlos. Er zitterte vor Wut. »Dass sie zwangsumgesiedelt wurden?«
»Ja natürlich«, gab Werner sofort zu. »Wir haben es mit eigenen Augen gesehen. Die Leute haben alles mitgenommen. Das wussten wir. Ab und zu fanden wir etwas unter den Trümmern. Etwas Kleines, das sie hinterlassen hatten. Dann fühlte ich mich wie das letzte Schwein. Aber meine Kollegen hatten kein Verständnis dafür. Sie haben auf mich eingeredet. Sie haben gesagt, dass es für uns alle besser wäre, wenn jeder nur unter seinesgleichen lebte. Sie haben es tatsächlich geglaubt. Ohne Zweifel. Und ich – ich war jung. Ich hatte damals keine Ahnung. Ich wollte nur meinen Job machen.«
Milan senkte mutlos den Kopf. Sein Großvater war ein Mann, der seinen Namen dem System gegeben hatte, um seine Farm zu retten. Er war kein Mitläufer, kein einfacher Bürger, der in der Apartheid gefangen war und sie erdulden musste. Nein. Er hatte mitgemacht. Er war ein Täter.
Ein Schauer lief Milan über den Rücken.
»Es waren harte Zeiten, Milan«, verteidigte sich Werner verzweifelt, als könnte er die Gedanken seines Enkelsohnes lesen. »Das musst du doch verstehen. Damals hatte die ganze Welt Angst. Angst vor den Kommunisten, Angst vor den Schwarzen, Angst vor Krieg. Deine Großmutter und ich waren arm. Ohne das Geld hätten wir die Farm verkaufen müssen.«
Milan wünschte sich, dass er die schreckliche Ehrung nie gefunden hätte. »Warum hast du die Auszeichnung behalten?«, fragte er verständnislos. Es passte gar nicht zu seinem Großvater.
Werner senkte den Blick. Die Antwort fiel ihm schwer und sie schmerzte ihn sichtlich: »Deine Oma war so stolz darauf.«
Milan fuhr erschrocken zusammen. Seine Oma starb, als er noch ein Kind war, aber seine Eltern hielten die Erinnerung an sie wach: eine nette alte Dame, die treu und liebevoll an der Seite ihres Mannes stand. War das auch gelogen?
In der Küche fiel etwas zu Boden und zerschlug auf den Fliesen. Milan warf einen Blick über die Schulter. Peter Julitz stand auf der Leiter und packte das Geschirr in die Schränke. Er fluchte und kletterte die Leiter herunter. Während er die Scherben auffegte, summte er leise vor sich hin. Von dem Gespräch im Arbeitszimmer hatte er nichts mitgekriegt.
»Weiß mein Vater davon?«, fragte Milan.
Werner nickte schuldbewusst. »Ja natürlich. Aber deine Mutter nicht, und so soll es auch bleiben.«
»Und Walter? Und Jon? Wussten sie es?«
Werner zuckte mutlos mit den Schultern. »Ja klar. Ich habe vor ihnen keine Geheimnisse. Aber es ist lange her.«
Werner stand von seinem Stuhl auf und machte einen Schritt auf seinen Enkelsohn zu. Milan war den Tränen nah.
»In District Six haben Zenis Großeltern gewohnt«, murmelte er.
Werner antwortete nicht. Stattdessen legte er Milan seine Hand auf die Schulter und nahm ihn liebevoll in die Arme. Milan konnte nicht weinen.
Der jüngste Julitz war ziemlich erschöpft, als er nach dem Umzug nach Hause kam. Das Gespräch, das er mit seinem Großvater und später auch mit seinem Vater geführt hatte, ließ ihn sich ausgelaugt fühlen. Sein Vater hatte ziemlich schnell mitbekommen, dass etwas mit seinem Sohn nicht stimmte. Milan war hinter das Familiengeheimnis gekommen. Die Vertreter dreier Generationen der Familie Julitz hörten auf, die Kisten auszupacken, und setzten sich im Wohnzimmer
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