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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Fermer
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nötig gewesen, bereits am ersten Abend die Pflanzen in Werners Wohnung zu gießen, doch Milan wollte sich in der leeren Wohnung umschauen.
    Immer wieder musste er an den kleinen gelben Zettel denken, den Herr Stein in seiner Hosentasche versteckt hatte. Darauf stand vermutlich die Adresse der Frau, die Stein gesucht hatte. Seine alte Flamme. War sie vielleicht der Grund, warum Milans Großvater so unerwartet verreist war? Irgendetwas stimmte an der Geschichte nicht.
    Auf dem Gehweg vor dem Hauseingang schaute er zu Werners Wohnung hoch. Die Vorhänge im sechsten Stock waren ordentlich zugezogen. Milan nahm den Aufzug und klingelte sicherheitshalber an der Wohnungstür. Es blieb still. Dieses Mal war tatsächlich niemand zu Hause. Milan machte die Tür auf und betrat leise das neue Domizil seines Großvaters.
    Die Wohnung sah genauso aus wie am Abend zuvor, als Milan sie kurz vor Mitternacht verlassen hatte. Die leere Whiskyflasche stand noch auf dem Couchtisch, die Gläser waren jedoch abgeräumt. Der Aschenbecher war gesäubert. Die Zeitschrift Die Spieël lag daneben, aber der gelbe Klebezettelblock war weg.
    Milan ging zum Fenster und blieb an der gleichen Stelle stehen, von wo aus vorher Herr Stein auf die Straße hinausgeschaut hatte. Unten sah Milan die Frau mit dem Pudel, die gerade von ihrem Nachmittagsspaziergang zurückkam. Sie trug den kleinen Hund unterm Arm. Von draußen hatte Milan gesehen, wie Stein mit dem Rücken zum Fenster gestanden hatte. Der Geschichtslehrer hatte die ganze Zeit nach links geschaut. Milan drehte sich um und blickte in die gleiche Richtung. Auf das Sofa. Dort hatte vermutlich sein Großvater gesessen.
    Zum zweiten Mal fiel Milans Blick auf die afrikaanssprachige Zeitschrift, die auf dem Couchtisch lag. Das Titelblatt zeigte ein schwarzes Pferd, das durch die wilde südafrikanische Landschaft galoppierte. Milan überflog die Schlagzeilen auf dem Cover, aber es fiel ihm dabei nichts auf.
    Er setzte sich an die Stelle, an der auch sein Großvater am Samstagabend gesessen haben musste, und schlug die Zeitschrift auf. Auf der ersten Seite, neben dem Inhaltsverzeichnis, war das Impressum. Dort hatte jemand den Namen der Chefredakteurin mit einem schwarzen Stift eingekreist. Catherine de Koning. Der Name sagte Milan nichts, aber es war immerhin der Name einer Frau. War sie die Frau, die Herr Stein gesucht hatte? Oder war es vielleicht nur reiner Zufall?
    Milan sprang auf und ging ins Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lagen zahlreiche unsortierte Papiere, die hauptsächlich mit Werners Umzug in die Stadt zu tun hatten. Milan blätterte die Dokumente durch, fand aber nicht das, was er suchte. Er ging die Schubladen durch. Dort entdeckte er den Klebezettelblock. Er hielt ihn in der Hand und konnte die Einkerbungen auf dem obersten Blatt sehen. Schnell holte er einen Bleistift und rieb ihn leicht über die Oberfläche. Nach und nach kam der Name »Catherine de Koning« zum Vorschein. Darunter eine Anschrift: 12 Kerkweg, Constantia 7800. Jetzt bestand kein Zweifel mehr: Es war die Frau, die Herr Stein gesucht hatte.
    Milan holte einen alten Stadtplan aus dem Regal und suchte die Straße. Er schaute auf die Uhr. Es war schon sechs. Wenn er jetzt losfuhr, könnte er dort sein, bevor es dunkel wurde. Dann könnte er mit ihr reden, unter irgendeinem Vorwand. Er hatte genug Zeit, um sich bis dahin etwas einfallen zu lassen.
    Milan riss den Zettel vom Block und steckte ihn in seine Jackentasche. Er stellte das Telefonbuch und den Stadtplan wieder an ihren Platz zurück und verließ eilig die Wohnung. Bei seinem nächsten Besuch würde er sich auf alle Fälle um die Pflanzen kümmern.
     
    Constantia war eines der reichsten Viertel in Kapstadt. Die Villen auf der Rhodes Avenue verbargen sich hinter hohen Mauern, dichten Hecken und riesigen Bäumen. Sie waren groß und prächtig. Über ihnen erstreckten sich die Wälder am Fuß des Tafelbergs. Hier war das Grün der Natur durch die vielen Regenschauer und die südafrikanische Sonne sehr üppig geworden. Constantia hatte etwas Abgeschiedenes. Die Grundstücke waren wie kleine abgeschlossene Welten. Milan konnte sich ein Leben innerhalb der Mauern und Hecken genauso wenig vorstellen wie ein Leben in einem Township wie Khayelitsha. Auch hier fühlte er sich unwohl.
    Milan fuhr langsam die Rhodes Avenue entlang und suchte nach dem Kerkweg. Nach einer Weile sah er das Schild, das auf die gesuchte Straße hinwies, daneben ein zweites Verkehrszeichen,

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