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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Fermer
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dem alten Nachbar sein Grundstück zu betreten.
    »Der Apartheid-Killer tötet unschuldige Menschen«, fluchte er entgeistert. »Catherine war ein guter Mensch.« Dann ließ er Milans Hand los und stolperte allein den Gartenweg entlang. »Sie sah so schön aus ...«
    Milan blieb am Gartentor stehen und blickte dem Mann starr hinterher. Herr Venter ging zur Haustür, machte sie mit zittrigen Händen auf und betrat das Haus. Erst als er nicht mehr zu sehen war, wagte es Milan sich umzudrehen. Die schick angezogene Dame mit der Dauerwelle schaute ihn immer noch fragend an. Neben ihr stiegen die beiden Gerichtsmediziner in den Leichenwagen und starteten den Motor. Während der Leichenwagen langsam losfuhr, machte die Dame wieder einen Schritt auf Milan zu.
    »Junger Mann? Wer sind Sie denn überhaupt?«, fragte sie forsch. Einige Bewohner wandten sich von Catherine de Konings Haus ab und schlossen sich der Dame an. »Mir ist nicht bekannt, dass Herr Venter einen Enkelsohn hat«, fügte sie mit herablassender Stimme hinzu.
    Milan schaute in die Gesichter der anderen Bewohner, die sich um ihre Sprecherin versammelt hatten. Sie warteten alle gespannt auf seine Antwort und schauten ihn misstrauisch an. Auch einer der Polizisten, der vor Catherine de Konings Haus ein Ehepaar befragte, schaute von seinem Notizblock auf und blickte fragend auf die kleine Gruppe, die sich plötzlich um den Jungen geschart hatte.
    Milan stockte und suchte verzweifelt nach einer Antwort. »Ich ... ich habe mich verfahren«, stammelte er ratlos und sah, wie die Dame argwöhnisch die Augen zusammenkniff. Er wartete nicht länger. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und eilte mit großen Schritten zu seiner Vespa zurück.
    »Warten Sie mal! Wo gehen Sie hin?«, rief ihm die Dame hinterher, aber er hielt keine Sekunde inne. Während ihm einige Anwohner nacheilten, steckte er den Schlüssel ins Schloss, startete den Motor und fuhr los. Die Rufe der wütenden Nachbarn von Catherine de Koning wurden vom heulenden Motor übertönt. Kurz bevor Milan um die Ecke bog, schaute er flüchtig über die Schulter. Die Dame stand jetzt neben dem Polizisten und zeigte auf den entkommenden Motorrollerfahrer. Doch bevor der Beamte sein Kennzeichen abschreiben konnte, war Milan schon nicht mehr zu sehen.

Herr Stein
    Herr Stein hatte manchmal die Angewohnheit, den ganzen Tag in seinem Klassenzimmer zu verbringen. Im Gegensatz zu den anderen Lehrern hielt er seinen Unterricht immer im gleichen Raum ab. Er ging nie zu seinen Schülern, sondern sie kamen immer zu ihm. Darüber hinaus hatte er selten das Bedürfnis, sich mit seinen Kollegen auszutauschen. Er ging nur ins Lehrerzimmer, wenn er seine überdimensionale Thermoskanne mit Kaffee nachfüllen musste oder wenn es eine Lehrerkonferenz gab.
    Die Wände in Steins Klassenraum sahen aus wie ein Mosaik, das aus Bildern und Texten zusammengesetzt war. Landkarten, Poster, Schlüsselworte, Fahnen, politische Symbole, Fotos, Zeitungsausschnitte – all das bedeckte die Wände von oben bis unten. Jeder freie Fleck war zutapeziert. Die letzten zweihundert Jahre der Geschichte wurden rundherum visuell zusammengefasst. Besonders viel Platz wurde dabei Südafrika eingeräumt. Landkarten zeigten die Kulturen der vorkolonialen Zeit oder das Territorium unter dem späteren Apartheid-Regime. Die sogenannten Bantustans oder »Homelands« – die Gebiete, die während der Apartheid für Schwarze festgelegt worden waren – waren mit deutlichen Farben darauf gekennzeichnet. Andere Bilder zeigten die Pässe, die Schwarze damals bei sich tragen mussten. Stein hatte sogar eines der berühmten Toilettenschilder an der Wand montiert: Blankes/Nie Blankes . Weiße/Nichtweiße. Die gleichen Schilder gab es damals auch für die Eingänge von Krankenhäusern, Postämtern, Rathäusern und anderen öffentlichen Gebäuden. Ein Porträt von Steve Biko, einem der bekanntesten Bürgerrechtler, der von der Polizei ermordet worden war, nahm den Ehrenplatz über der großen Tafel ein. Steins Klassenzimmer war eine einzige Stätte der Erinnerung, ein Zeugnis für eine Vergangenheit, die seiner Ansicht nach nie vergessen werden sollte.
    Am nächsten Tag hatte Milan nicht vor, bis zur ersten Pause zu warten, um mit Herrn Stein zu sprechen. In der Nacht hatte er kein Auge zugetan. Seit den Vorkommnissen im Kerkweg am vorherigen Abend stand er wie unter Strom. Er konnte nicht fassen, was er gesehen hatte. Immer wieder hörte er die Worte des alten

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