Justice (German Edition)
Er ist jetzt in Behandlung. Er wird den Krebs wahrscheinlich besiegen.«
Milan schaute zu Zeni hoch. Sein Blick suchte nach Verständnis. »Als ich nach Hause kam, stand die Haustür offen«, erzählte er. »So wie damals, als wir uns kennenlernten. Ja. Genauso wie damals.« Er lachte kurz auf, doch sein Gesicht blieb finster. »Da waren Blutspuren vor der Haustür. Auf der Treppe, am Türgriff. Ich bin reingegangen. Meine Mutter lag neben dem Sofa. Flach auf dem Rücken. Es war schrecklich. Alles war voller Blut. Überall. Ihr Körper war noch warm. Sie fühlte sich an, als ob sie noch lebte. Aber sie atmete nicht mehr. Sie war tot.«
Milan machte die Augen zu und sah seine Mutter vor sich: Leblos lag sie auf dem Boden, unter ihrem Morgenmantel ergoss sich eine Blutlache über die weißen Fliesen. Trotz der klaffenden Schusswunde in ihrem Brustbein wirkte sie vollkommen friedlich. Jemand hatte ihr ein Kissen unten den Kopf gelegt, hatte ihr die Hände über dem Bauch gefaltet, den Morgenmantel zugebunden. Sie sah aus, als läge sie bereits im Sarg. Jemand hatte sie zurechtgelegt. Aber nicht die Mörder. Sondern Themba. Jetzt erst verstand Milan.
Minutenlang hatte er seine Mutter in seinen Armen gewiegt. Er hatte geweint, bis seine Tränen ihr ins Gesicht tropften. Er küsste ihre nassen Wangen und streichelte ihr blutverschmiertes Haar. Erst viel später sah er die Brille, die unter das Sofa gerutscht war. Die Brille von Themba Mbete. Er hatte keine Sekunde nachgedacht.
Milan holte tief Luft. Die Erinnerung war nur schwer zu ertragen. Mit seiner rechten Hand hob er die Waffe und legte sie auf den Esstisch neben sich. Der Revolver machte ein dumpfes Geräusch, als Milan ihn losließ.
»Der hier lag neben meiner Mutter«, sagte er zur Erklärung. »Der Revolver gehört meinem Vater. Meine Mutter hat wohl auf die Einbrecher geschossen. Und getroffen. Deswegen waren Blutspuren vor der Haustür. Dafür hat sie mit ihrem Leben bezahlt.«
Die ganze Zeit schaute Zeni ihn mit angehaltenem Atem an. Themba hörte auf zu weinen. Auch er betrachtete Milan wie gebannt.
»Draußen habe ich die Polizei gehört. Ich habe die Waffe an mich genommen. Sie versteckt. Die Polizei hat mich befragt, aber ich konnte nichts sagen. Ich habe die Aussage von Herrn Reynolds, unserem Nachbar, mitgehört. Seine Beschreibung traf genau auf Themba zu. Er erwähnte auch das Auto. Ich habe gewartet, bis die Polizei mit mir fertig war. Sie wollten mich mitnehmen. Wegen psychologischer Betreuung. Ich habe ihnen gesagt, dass ich zu Alexander gehen wollte. Zu meinem Freund. Dann bin ich abgehauen und hierhergekommen. Ich wollte ... ich wollte doch nur ...«
Milan brach ab. Mit den Fingerspitzen drehte er Thembas Brille in der Hand und starrte sie ausdruckslos an. Dann legte er sie neben die Waffe.
»Ich hätte es diesmal geschafft, Zeni«, sagte er überzeugt und erschüttert zugleich. Er schaute seiner Freundin tief in die Augen. »Ich hätte diesmal abdrücken können.«
Für einen Augenblick herrschte absolute Stille. Keiner bewegte sich. Milan ließ Zeni nicht aus den Augen. Sein Blick forderte sie heraus. Sie könnte ihm jetzt den Rücken kehren. Sie könnte sich einfach umdrehen und gehen. Sie wusste jetzt, wozu Milan fähig war. Sie musste sich keine Sorgen mehr um ihren Cousin machen. Milan würde ihm nichts mehr antun. Es wurde schon genug Blut vergossen. Sie konnte einfach den Raum verlassen und gehen. Ganz allein.
Aber Zeni ging nicht. Sie blieb noch einen Moment lang stehen, dann machte sie einen Schritt auf Milan zu. Sie ging vor ihm in die Hocke und legte ihre Hände sanft auf seine Knie.
»Ich liebe dich, Milan«, sagte sie leise. »Komm. Lass uns gehen. Meine Mutter hat etwas gekocht. Wir essen zusammen. Du musst zur Ruhe kommen. Du musst schlafen. Themba geht zur Polizei. Er wird gegen die Tsotsis aussagen. Er wird das Richtige tun. Du kannst heute bei uns bleiben. Morgen fahren wir zu dir nach Hause. Wenn dein Vater zurückkommt, müssen wir für ihn da sein. Wir beide zusammen.«
Sie nahm Milan bei den Händen und stand wieder auf. Milan zögerte noch. Er suchte Thembas Blick.
Zenis Cousin schlug die Augen nieder, dann nickte er fast unmerklich. Die kleine Bewegung genügte Milan. Themba würde zur Polizei gehen. Er würde die Sache regeln. Die Mörder von Milans Mutter würden hinter Gitter wandern und ihre gerechte Strafe bekommen. Themba würde dafür sorgen.
Für einen kurzen Augenblick betrachtete Milan Zenis schmale
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