Justice (German Edition)
Schließlich handelte es sich nicht um irgendeine Polizeistelle. »Bist du dir sicher?«, fragte er mit festem Blick auf das Präsidium.
»Ja. Ganz sicher«, antwortete Zeni entschlossen. »Bis gleich. Und warte bitte auf mich.«
Zeni beendete das Gespräch und Milan legte sein Handy auf die Bordsteinkante neben sich. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte ein klappriges Auto auf der anderen Straßenseite auf. Themba Mbete saß hinter dem Steuer. Als Zeni ausstieg und sich von ihm verabschiedete, nickte Themba dem Jungen über die Straße zu. Milan musste an seine Hochzeit denken. Wie wohl er sich bei dem großen Xhosa-Fest gefühlt hatte. Freundschaft und Annäherung. Eine Feier der Liebe und des Zusammenhalts. Das war Ubuntu und nicht das, was Herr Stein getan hatte. All das hatte Stein versucht kaputt zu machen.
Themba fuhr wieder los. Zeni winkte ihm hinterher. Der Anblick seiner Freundin gab Milan neue Kraft. Er beobachtete sie, wie sie zu ihm über die Straße lief. Er hätte gerne für den Rest seines Lebens diesen Moment festgehalten. Einen Moment, in dem er Zeni zuschaute, wie sie ihren Kopf hob und Milan anlächelte. Es war ein Lächeln der Freude, aber auch der Traurigkeit. Ein Lächeln, das sich nach einer ganz anderen Zeit sehnte. Einer unbeschwerten Zeit.
Milan stand von der Bordsteinkante auf und nahm sie in seine Arme. »Ich bin so froh, dass du hier bist«, sagte er.
»Ich auch«. Sie strich ihm liebevoll durch die Haare. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«
Milan nahm ihre Hand und küsste sie. »Es tut mir leid.« Dann drehte er sich zum Präsidium um. »Komm. Wir bringen es hinter uns.«
Zenis Blick fiel auf das beleuchtete Gebäude gegenüber. Sie zögerte. »Ich habe Angst.«
»Du musst keine Angst haben«, sagte Milan und drückte fest ihre Hand. »Jetzt sind wir zusammen.«
Dann überquerten sie die Straße und betraten gemeinsam das prächtige Präsidium.
Bei Themba Mbete
Milan schloss die Augen. Er drückte den Lauf seiner Halbautomatik gegen Thembas verschwitzte Stirn.
»Nein, Milan! Bitte nicht!«, rief Themba panisch. Er kniete vor dem weißen Jungen und zitterte am ganzen Körper. »Du machst einen Fehler.«
Milan blickte auf Themba hinab. Auf einmal war er nicht mehr der kultivierte, souveräne Mann, den Milan nur wenige Monate zuvor kennengelernt hatte. Ohne seinen Anzug, ohne seine blau getönte Brille, ohne seine Freunde um ihn herum sah er hilflos und armselig aus.
»Ich glaube nicht, dass ich einen Fehler mache«, zischte Milan wütend. Sein Finger zuckte am Abzug. Themba zog den Kopf zurück, doch Milan rückte mit dem Revolver nach. »Du hast meine Mutter getötet.«
Themba wollte etwas erwidern, aber die Waffe an seiner Stirn schnürte ihm die Kehle zu. Milan betrachtete sein unverständliches Gestammel als Geständnis.
Themba war der Mörder seiner Mutter.
Ohne den geringsten Zweifel.
»Warum? Warum hast du sie getötet?«, fragte Milan in einem bedrohlichen, ruhigen Ton. »Meine Mutter hat dir nie etwas getan. Sie hat Frau Kumalo Arbeit gegeben. Sie mochte Zeni. Sie ist ... sie war ein guter Mensch.«
Themba senkte den Blick. Er schluchzte leise.
»Warum warst du bei uns zu Hause?«, fragte Milan weiter. Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Was hattest du dort zu suchen? Bist du eingebrochen? Wolltest du uns ausrauben? Ging es darum? Um Geld? Hast du gedacht, du könntest bei uns etwas holen? Am helllichten Tag? Warum? Bist du davon ausgegangen, dass niemand zu Hause war? Bist du deswegen tagsüber hingefahren?«
»Ich ... ich war es nicht. Wirklich nicht«, wimmerte Themba atemlos. »Ich kann nichts dafür. Ich wollte es verhindern. Aber ich kam zu spät.«
Thembas Ausflüchte beeindruckten Milan nicht. Im Gegenteil, sie bestätigten nur seinen Verdacht. Er konnte die Schuld in Thembas Augen sehen. Er war in Milans Haus gewesen, wahrscheinlich zusammen mit seinen Freunden, vielleicht sogar allein. Er hatte das Haus ausrauben wollen. Und er war bewaffnet gewesen. Er oder seine Freunde. Auch wenn er den tödlichen Schuss nicht persönlich abgegeben hatte, war er schuldig. Themba war die Schlüsselfigur, die Verbindung. Nur er hatte den Tod von Milans Mutter zu verantworten. Er hatte Milans Familie zerstört.
Milan drückte den Lauf noch fester gegen Thembas Stirn. Jetzt spürte er, dass er es konnte. Abdrücken. Die Sache zu Ende bringen. Nicht wie vor vier Wochen, als er im District-Six-Museum Peter Kriel gegenübergestanden hatte.
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