Justifiers - Autopilot: Justifiers-Roman 7 (German Edition)
die sie dadurch geschaffen hatten, ein reger Handel mit Informationen betrieben wurde. Es war alles Teil jenes gigantischen Spiels, in dem alle Regeln von Situation zu Situation verhandelbar waren. Das Spiel, in dem das Durchführen immer neuer und letztlich doch immer gleicher Züge zum Selbstzweck geworden war. Sie spielen es nicht mehr wegen irgendwelcher Gewinnsteigerungen oder Positionen am Markt. Sie spielen es, weil sie nicht mehr anders können. Nicht aus Machtkalkül, sondern aus der Lust daran, mächtig zu sein. Es war ein heuchlerischer Mummenschanz, und es tröstete sie, dass die Absichten, die sie und ihr Befehlshaber verfolgten, nicht so niederer Natur waren. Nüchtern betrachtet hatten sich die Investitionen in die Nachverfolgung von Shermars Vergangenheit gelohnt, denn sie würden dazu dienen, die Welt zu verändern. Womöglich nicht gleich die ganze Welt auf einen Schlag, aber doch einen wichtigen Teil von ihr. Den Teil, der mir am wichtigsten ist .
Sie drehte sich auf die Seite und griff zu ihrer Multibox, die auf dem Nachttisch lag. Nachdem sie die verschlüsselte Datei aufgerufen hatte, die ihr erst vor ein paar Stunden übermittelt worden war, las sie noch einmal die Wahrheit über den Mann, den sie als Pollock Shermar kannte. Sie hatte den Drang, sich zu vergewissern, dass sie die richtigen Schlüsse aus den spärlichen Daten gezogen hatte. Weiß er, was er ist? Sie geriet erst ins Grübeln, ehe plötzlich bitterer Hass in ihr aufbrodelte. Warum hat er etwas bekommen, was Piotr und die anderen nicht bekommen haben? Warum ausgerechnet er? Von all den Abermilliarden Menschen im All, warum er? Warum darf er leben, und sie müssen tot bleiben? Das ist nicht fair.
Ein brutaler Gedanke spendete ihr Trost. Wenn alles glattläuft, wird sein zweites Leben nicht mehr lange dauern.
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02.10.3042 A.D., 03:27
System: Sol
Planet: Erde
Ort: Nördliche Amazonassteppe
Als Pollock aus seinem unruhigen Schlaf hochschreckte, wusste er einen kurzen, aber umso verstörenderen Moment nicht, wo er war. Sein Gehirn sortierte träge seine Sinneseindrücke: das kaum merkliche Vibrieren in seinem Rücken, der schwere Geruch von gut gepflegtem Leder, der gedämpfte Schein der Ruhebeleuchtung in der Passagierkabine. Dann erinnerte sich Pollock, dass er in einem Gleiter saß. Er warf einen Blick aus dem Seitenfenster. Tief unter ihm wogte das Gras, das dort wuchs, wo einst Urwaldriesen dem Himmel getrotzt hatten, wie eine endlose, düstere See.
»Einen Drink, Sir?«, fragte die Flugbegleiterin behutsam von ihrem Platz neben der Cockpittür aus. Es war entweder die gleiche gertenschlanke Frau, die Pollock von seiner Anreise nach At Lantis kannte, oder ein Modell, das ihr zum Verwechseln ähnlich sah.
»Kaffee«, röchelte er. »Mit irgendeinem netten Schuss, ja?«
»Kommt sofort.«
Er richtete sich in seinem Sitz auf und strich sich das zerzauste Haar glatt. »Wo sind wir?«
»Ungefähr zwei Stunden vor Brasilia, Sir.« Die Stewardess lächelte ihn an, während sie eine auf Pollock übermäßig kompliziert wirkende Apparatur bediente, um einen Kaffee aufzubrühen. »Milch und Zucker?«
»Schwarz.« Pollock gähnte. »Ihr Chef ist ein spendabler Mann.«
»Ja, Sir.«
Pollock schloss die Augen. Mein Smalltalk war auch mal besser. »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Mindy.«
»Tut mir leid, dass Sie meinetwegen mitten in der Nacht aufstehen mussten, Mindy.«
»Das braucht Ihnen doch nicht leidzutun, Sir.« Glas klirrte auf Porzellan, Stoff raschelte. »Hier, bitte.«
Er schlug die Augen auf und nahm seinen Kaffee in Empfang.
»Möchten Sie mehr Licht?«, fragte Mindy beim Zurückkehren auf ihren angestammten Platz.
»Warum nicht?«
Es wurde sofort heller in der Kabine. Pollock trank seinen Kaffee und sah sich dabei auf seiner Multibox noch einmal die Aufzeichnungen der Überwachungskamera vor der Wohnung von Cathy Clark an, die ihm Trudy artig geschickt hatte. Wenig überraschend war darauf keine Spur von einem Bullenbeta in Justifierskluft zu sehen, der sich gewaltsam Zutritt verschaffte. Pollock seufzte und nahm sein Diktafon vor die Lippen. »Madonna, du sollst nicht sagen können, ich hätte meine Pflichten vernachlässigt, falls du demnächst hörst, dass ich spurlos in Brasilia verschwunden bin. Also: Sofern es dich interessiert – und da bin ich mir nicht ganz sicher, weil ich immer noch auf eine Rückmeldung von dir in Sachen doppelte Matrix in meinem Oberstübchen warte –, ich bin auf dem Weg nach
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