Juwel meines Herzens
dass er seine eigene Besitzgier hatte durchblicken lassen, als er versucht hatte, Tyrell in die Schranken zu weisen. Möglicherweise war dadurch ein völlig falscher Eindruck über ihre Stellung an Bord entstanden.
»Ich habe die Grenzen unseres Umgangs miteinander abgesteckt. Sie akzeptiert meine Autorität als Captain«, antwortete er Wayland schließlich.
Wieder erklang schallendes weibliches Gelächter und schickte einen Schauer über Nolans Rücken.
Wayland warf einen Blick auf das für Nolan nicht sichtbare Ruderboot, und wandte sich ihm dann wieder grinsend zu. »Aye, Captain.« Offenbar zufrieden damit, ihn gründlich gereizt zu haben, wandte er sich wieder zur Insel um. Er sah aus wie eine bedrohliche Galionsfigur, die mit Sicherheit jeden bösen Geist in die Flucht schlagen würde.
Eine wohltuende Stille begleitete sie auf dem restlichen Weg bis zur Insel. Sie wurde lediglich vom Schnaufen der Besatzung hinter Nolan und den Rudern, die in schnellem Rhythmus durch das Wasser zogen, gestört. Nolan erhob sich als Erster und watete durch das eisige Nass, um das Ruderboot an Land zu ziehen. Selbst der heißeste Tag konnte den Atlantik nicht erwärmen. Er sehnte sich in die Karibik zurück. Vielleicht wäre er dort auch wieder ganz der Alte? Im Moment rangen zwei Männer in seiner Brust darum, wer ihn bestimmte. In den alten Zeiten hätte er Jewel nicht mit Samthandschuhen angefasst, wenn er sie berühren, ihre Haut an seiner spüren wollte. Kopfschüttelnd versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen: Er musste sich sein Verlangen abgewöhnen, nicht seine Zurückhaltung.
Nachdem Nolan die Karte aus seiner Tasche zutage gefördert hatte, betrachtete er die Insel, deren grüne Hügel sich direkt hinter dem Strand erhoben. Seine Freude über das heißbegehrte Pergament wurde von der Erinnerung daran getrübt, wie er es bekommen hatte. Er wünschte, die ganze Begegnung wäre anders verlaufen. Aber bis dahin war Jewel so energisch und stur gewesen, dass er nicht erwartet hatte, seine groben Worte könnten sie verletzen. Jetzt sah er, dass er einen Fehler begangen hatte, obwohl sie sich tapfer bemühte, es ihm nicht zu zeigen.
Seine Vermutung hatte sich bestätigt. Hinter ihrer Fassade war sie verletzlicher, als sie zugeben wollte. Und obwohl es stimmte, dass er sie nicht auf dem Schiff haben wollte, entsprang ein Großteil seiner Feindseligkeit doch aus seiner ihn quälenden Begierde. Letzte Nacht hatte er seinen Wunsch unterdrückt, zu ihr zu gehen und sich zu entschuldigen. Er hatte Gefühle für Jewel, Gefühle, die er selber nicht zu erkunden wagte, die er aber immer schwieriger verbergen konnte. Und da die Anziehung gegenseitig war, schien es besser zu sein, sich aus dem Weg zu gehen.
Nolan konzentrierte sich auf die Karte. Seit über einem halben Jahrhundert nach Captain Kents Exekution, so hieß es, sei sein Schatz auf Gardiners Island versteckt. Schon viele Schatzsucher hatten hier ihr Glück gesucht – darunter auch Bellamy und er –, aber alle erfolglos. In der vergangenen Nacht hatte Nolan lange Zeit damit verbracht, das Buch seines Vaters mit der Karte zu vergleichen, aber er war auf keine neuen Erkenntnisse gestoßen. Er hatte wenig Hoffnung, dass der heutige Landgang zu etwas führen würde, aber irgendwo mussten sie ja schließlich beginnen.
Er wandte sich zum Strand um, gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie Tyrell Jewel durch die Brandung trug. »Mr. Tyrell, sichern Sie Ihr Ruderboot, bevor Sie Passagiere an Land bringen.«
Der Leutnant blickte über seine Schulter zurück, doch das dritte Besatzungsmitglied zog das Langboot bereits geschickt an Land. »Aye, Captain.« Als er auf Jewel hinabblickte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er setzte sie auf festem, trockenem Boden ab und eilte zurück, um seinem Mann zu helfen, das Boot an Land zu ziehen.
Nolans Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. »Mr. Tyrell, kann ich kurz mit Ihnen sprechen?« Er stapfte zu der anderen Seite des Strands, ohne sich an die übrige Crew zu wenden. Er hatte Angst, Jewel könnte sehen, dass sein Ansinnen, mit Tyrell unter vier Augen zu sprechen, ausschließlich mit ihr zu tun hatte.
»Ja, Captain?«, fragte Parker, leicht außer Atem, nachdem er ihm hinterhergerannt war.
»Ich dachte, wir hätten alle Fragen hinsichtlich Miss Sanderson geklärt.«
»Fragen, Captain?« Sorglos erwiderte Tyrell Nolans strengen Blick. Schon jetzt brachte Nolan das Thema ins
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