Juwel meines Herzens
Verlangen, sich zu verteidigen. »Nimmst du es mir übel, weil ich zugelassen habe, dass mein Vater dich verletzte? Ich wusste doch gar nicht, was er vorhatte. Ich war damals noch ein kleines Mädchen.«
Nolan seufzte und rieb sich seine Schulter. »Nein, das ist es nicht. Du sollst dich nicht für irgendetwas schuldig fühlen, woran du keine Verantwortung trägst. Ich habe ganz falsch angefangen. Setz dich.« Er deutete mit seiner Hand auf die Schlafstatt.
Sie nahm zögerlich Platz, fühlte sich, als wäre sie so zerbrechlich wie Glas. Er strich mit dem Zeigefinger über seine Unterlippe, während er sie ansah. War sie für ihn plötzlich so durchsichtig geworden wie die ovale Luke hinter ihr? Der Mann, der mit ihr noch letzte Nacht genau dieses Bett geteilt und sie hier geliebt hatte, schien sie nicht mehr zu kennen – oder andersherum.
»Ich habe deinen Vater getötet«, stieß er hervor.
Jewel konnte nur verstört blinzeln, dann wurden ihre Hände taub. »Aber … ich verstehe nicht …«, war alles, was sie stammelnd hervorbringen konnte. Hatte sie richtig gehört?
Vor vielen Jahren, als ihr Vater ihr die Karte zum Aufbewahren brachte, hatte sie Nolan kaum beachtet. Er war ein Feind gewesen, der Grund, warum sie nicht mit ihnen gehen konnte, um den Schatz zu suchen. Als er fünf Jahre später ins »Quail and Queen« gekommen war, hatte sie in ihm nicht mehr den zotteligen Jungen gesehen, der verzweifelt ihren Vater herausgefordert hatte, um die Mannschaft zu verlassen. Er war als Gentleman in lederfarbenen Kniehosen und einer blauen Jacke aufgetreten, der kam, um sie zu retten. Natürlich hatte sie einen Augenblick lang vermutet, dass Nolan ihren Vater auf dem Gewissen hatte, sich aber schnell vom Gegenteil zu überzeugen versucht. Was sie gefühlt hatte, als sie ihn erblickte … Und nun war er es, der bei ihr war; ein lebendiger, wahr gewordener Kindheitstraum, wogegen ihr Vater sie genauso verlassen hatte wie ihre Mutter.
Seine Züge blieben kalt und angespannt, auch wenn Jewels Miene deutlich ihre panischen Gedanken widerspiegeln musste. Nolan kauerte auf der Tischkante, unbewegt und ohne irgendwelche Gefühle preiszugeben. »Ich war Mitglied von Bellamys Mannschaft. Ein unfreiwilliges Mitglied, wenn du dich daran erinnerst. Irgendwann habe ich eine Meuterei angeführt – und gewonnen. Bellamy scheiterte. Er wurde zum Tode verurteilt und ich an seiner Stelle Captain.«
Sein Tonfall war so nüchtern, dass er sie fast krank machte. Nolan benahm sich, als spräche er über den Sonnenstand und nicht über den Tod eines Mannes, den Jewel zwar nie wirklich kennengelernt hatte, der aber trotz allem ihr Vater blieb. Empfand Nolan Reue? Zu sehen war sie jedenfalls nicht. Er wusste gut, wie viele kindische Träume sie um ihren Vater gesponnen hatte – wahrscheinlich vollkommen unbegründet, natürlich, aber das machte es nicht weniger schmerzlich, dass er sie verlassen hatte. Und es machte Nolans Worte auch nicht weniger grausam. Warum hatte er nur beschlossen, ihr gerade jetzt diese schreckliche Geschichte zu erzählen?
»Wer hat ihn zum Tode verurteilt?«, fragte sie, obwohl sie fürchtete, die Antwort darauf bereits zu kennen. Trotzdem klammerte sie sich an die kleine Hoffnung, den dunklen Schleier wegwischen zu können, der sich jetzt über das zu legen drohte, was sie für den Beginn eines neuen, strahlenden Lebens gehalten hatte.
»Ich.« Nolan baute sich vor ihr auf. »Willst du mich unter diesen Umständen noch immer heiraten?«
Sie sah auf ihr Kleid hinab; sie trug das grüne, das sie für Nolans Lieblingskleid hielt. Sie konnte sich nicht mehr darüber freuen. Sie wollte darin nicht heiraten. Sie hasste es. Als sie in seine kalten, blauen Augen blickte, überzogen sich ihre Arme mit eisiger Gänsehaut. »Ich brauche ein wenig Zeit … um nachzudenken.«
Er verschränkte seine Arme. »Nein. Das wäre sicher ein Fehler. Wir heiraten binnen einer Stunde. Bis dahin solltest du dich gesammelt haben.« Er wandte sich um und ging zur Tür.
Jewel sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt. Eine rasende Wut, von der sie noch nicht einmal geahnt hatte, dass sie in ihr schlummerte, wollte sich Luft machen. Der Mann, der ihr gegenüberstand, war nicht mehr derselbe, mit dem sie vergangene Nacht das Bett geteilt hatte – und wenn er es war, dann trieb er auf ihre Kosten ein übles Spiel. »Du hast recht, ich brauche keine Zeit, um nachzudenken. Ich heirate dich nicht. Ich weiß ja noch nicht
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