Juwel meines Herzens
hätte er sich ein gutes Jahr gegeben, ehe er wieder untertauchen und in irgendeinem Tempel der Lust schlemmen und sich Ausschweifungen hingeben würde. Obwohl er seinem Vater und seinen Freunden lange Zeit etwas vorgespielt hatte, war Nolan tief in seinem Innersten immer bewusst gewesen, dass er sich nur etwas vormachte. Sein Herz war dunkel und wild, er wurde von seiner Leidenschaft bestimmt. Die heutige Nacht hatte das in jeder Hinsicht bewiesen. Sogar die Schlacht an Bord der
Neptune
hatte er genossen. In dem Augenblick, als er sein Schwert gezogen hatte, war das altvertraute Gefühl des Rausches über ihn gekommen. Und dass er selbst Blut lassen musste, hatte ihn sich nur noch lebendiger fühlen lassen. Und als sinnliche Krönung dieser Nacht hatte er sich der Frau genähert, die ihn in seinen Träumen quälte, und sie bestiegen, bis er wund war.
Mein Gott, er war schon wieder steif. Er biss die Zähne zusammen, um sich nicht an Jewels Hinterbacken zu reiben. Das würde sein Schicksal sein. Wahrscheinlich müsste er von nun an den Rest seines Lebens an der Seite einer ihn hassenden Frau mit einer unstillbaren Erektion zubringen. Und auch das wäre noch gerecht.
Ein zögerliches Klopfen ließ Jewel innehalten, als sie gerade versuchte, ihr Haar zu einer annehmbaren Imitation eines Nackenknotens zu stecken. Die weichen Strähnen fielen dunkel und schwer über ihre Schultern, weigerten sich aber trotz all ihrer Bemühungen, sich auch nur leicht zu locken. Sie wandte sich vom Spiegel ab und hatte den Kampf mit ihren quälend glatten Haaren sofort vergessen. Ihr Wunsch, nach dieser Nacht anders auszusehen, war nichts im Vergleich zu ihrem Bedürfnis, Nolan wiederzusehen.
Tyrells Erscheinen ließ ihr Lächeln verblassen. »Ach, Ihr seid es.«
Der Leutnant lachte trotz des eher unfreundlichen Empfangs. »Nun, auch Euch einen guten Morgen, Miss Sanderson.«
Jewels Wangen flammten vor Scham auf. Sie hatte nicht unhöflich Tyrell gegenüber sein wollen. Im Gegenteil: Eigentlich bekam sie bei seinem Anblick nach den Ereignissen der letzten Stunden ein schlechtes Gewissen. Sie hatte Tyrell benutzt, um Nolans Herz zu gewinnen. »Es tut mir leid. Ich habe mit … jemand anderem gerechnet.« Im letzten Moment war es ihr in den Sinn gekommen, dass ihre Beziehung mit Nolan besser noch geheim bleiben sollte. Sie wusste, dass das, was sie miteinander verband, viel tiefer reichte, als eine verbotene Liebelei, aber was würden wohl die anderen denken?
Tyrell zwinkerte ihr zu. »Ich weiß schon, wen Ihr erwartet habt.«
Jewel spürte, wie die Hitze der Verlegenheit von vorhin ihre Brust hinabwanderte. Sie konnte Tyrell nicht mehr in die Augen sehen.
Der Leutnant hatte den Anstand, sich zu räuspern. »Und dieser jemand möchte Euch auf Deck sehen. Ihr solltet besser erscheinen, bevor er seine schlechte Stimmung noch länger an der Besatzung auslässt.«
Jewel runzelte die Stirn. Sie fühlte sich heute absolut himmlisch. Ihr ganzes Leben schien sich geordnet zu haben, und sie hatte angenommen, dass Nolan das Gleiche fühlen würde, spüren würde wie sie: eben dass alles richtig war. Ein unbehagliches Gefühl, das jede Art von rosigen Aussichten ruinierte, wuchs aus der Mitte ihres Glücks wie ein Unkraut.
Sanft berührte Tyrell ihren Arm. »Keine Sorge. Seine Stimmung wird sich aufhellen, sobald er Euch sieht. Das ist immer so.«
Nur zu gerne wollte Jewel sich auf Tyrells Vermutung verlassen. Nolans schlechte Laune konnte genauso gut daher stammen, dass er ebenso nervös war wie sie. Schließlich hatte sich ihr Verhältnis zueinander grundsätzlich geändert. Sie mussten einander einfach nur sehen, um Sicherheit in ihr Gefühlschaos zu bringen. Sie zwang sich zu lächeln, trotzdem blieb ein zweifelndes Gefühl in ihrer Magengrube zurück. »Gewährt mir noch fünf Minuten, um mein Haar zu flechten. Ich wollte es eigentlich hochstecken, aber das scheint hoffnungslos zu sein. Ich habe fast schon eine Stunde damit zugebracht. Umsonst.«
»Ihr müsst es drehen.«
Jewel wandte sich vom Spiegel ab und sah ihn an. »Was wisst Ihr darüber, wie man eine Frau frisiert?«
Er blickte ihr direkt in die Augen. Sie hätte schwören können, dass sich eine leichte Röte um seinen Halsansatz herum ausbreitete. »Ähmm … meine Schwester hat es mir beigebracht.«
Sie musste sich bemühen, ihr Grinsen zu verbergen, doch Tyrell wusste wohl ohnehin, dass sie ihm nicht glaubte. Trotzdem: Er hatte alles, was zwischen ihr und Nolan
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