Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

Titel: K. oder Die verschwundene Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Transit
Vom Netzwerk:
Schwiegersohns. Er hat ein Papier mit sämtlichen Angaben mitgebracht. Und ein paar Fotografien. Er weiß nicht, an wen er sich noch wenden kann – sagt er in flehendem Ton. Er ist aus London gekommen, wo er bei Amnesty International vorgesprochen hat. Davor war er in Genf gewesen, um an das Rote Kreuz zu appellieren. Höflich fragt er nach, weshalb das American Jewish Committee die brasilianische Diktatur nicht bereits öffentlich angeprangert hat, so wie es Amnesty International getan hat.
    Was hat Amnesty International unternommen?, fragt Blaumstein.
    Sie haben eine weltweite Kampagne gestartet, sagt K.; ihre Aktivisten aufgefordert, schriftlich an die brasilianische Regierung zu appellieren; seine Tochter zum »Politischen Häftling des Jahres« deklariert.
    Als er von der Diktatur spricht, erinnert sich K. mit Abscheu an die Menschenrechtskommission der OEA, der Organisation Amerikanischer Staaten, die seine Petition auf nahezu zynische Weise zurückgewiesen hatte. Sie gaben vor, dass laut brasilianischer Regierung nichts von seiner Tochter bekannt sei. Klar: Sie hatten die Verbrecher gefragt, ob sie Verbrecher seien. Das Rote Kreuz hingegen hatte sich die Daten notiert und versprochen, eine Untersuchung einzuleiten. Offenbar erwarteten sie nicht allzu viel von ihrer brasilianischen Sektion.
    Amnesty International hat ihm geraten, sich an das American Jewish Committee zu wenden, teilt K. Blaumstein mit. Sie haben gesagt, dass diese Organisation viel Erfahrung gerade in solchen Fällen und großen Einfluss bis in die höchsten amerikanischen Kreise besitzt. Auch das Rote Kreuz hat sich lobend über das Jewish Committee geäußert.
    Blaumstein erklärt K. nun die operationellen Prinzipien des American Jewish Committee im Bereich der Menschenrechte. Seit der Gründung 1906, als Folge der Pogrome in Russland, kämpfen sie für die Umsetzung des Pluralismus und die Aufhebung von Vorurteilen; sie halten dies für die beste Möglichkeit, den Antisemitismus zu bekämpfen, der als Teil eines größeren Problems, nämlich der Intoleranz und Diskriminierung, gesehen wird.
    Was Einzelfälle wie den seiner Tochter betrifft, hatte das American Jewish Committee mit der Zeit gelernt, dass die beste Taktik darin besteht, im Stillen und unter der Oberfläche zu agieren. So gingen sie vor. Auch Amnesty International wandte zwei Taktiken an, eine ostentative und eine diskrete, wenngleich sie sich von denen des Jewish Committee unterschieden. Viele Menschen konnten auf diese Weise gerettet werden. Sie können es sich vielleicht nicht vorstellen, aber wir haben Möglichkeiten, zu bestimmten Instanzen vorzudringen, sagt Blaumstein.
    Er fragt, wo K. untergebracht ist. Bei meinem Vetter Simon in Brooklyn, antwortet K. und schreibt die Adresse auf dasselbe Stück Papier, auf dem auch die Daten seiner Tochter stehen. Blaumstein sagt, er möge bei seinem Vetter zuhause spätestens bis um zwölf Uhr des kommenden Tages auf eine Nachricht warten. Er empfiehlt ihm, seine Kontakte zum Committee vertraulich zu behandeln. Diskretion ist äußerst wichtig, betont er.
    Am Tag darauf, lange bevor es zwölf ist, händigt ein Bote K. im Haus seines Vetters Simon einen Umschlag mit einer Botschaft aus: »Sie werden in Kürze in São Paulo von Jacobo aufgesucht. Er spricht mit argentinischem Akzent und wird sagen, dass es um Ihren neuen Gedichtband geht. Merken Sie sich diese Botschaft und vernichten Sie dieses Papier.«
    Beeindruckend, denkt K., eine so respektable, so mächtige Menschenrechtsorganisation, und sie muss im Verborgenen handeln, als gehe es um ein Verbrechen; es scheint, als ob selbst sie Angst hat, man könne sie verschwinden lassen. Es ist, als ob diese Verbrecher, die Menschen verschwinden lassen, überall seien. Sogar in Amerika, dem Land der Freiheit. Noch am gleichen Abend fliegt K. nach São Paulo zurück.
    III
    Mehr als zwei Wochen sind vergangen.
    K. erhält einen Anruf von einem Herrn Jacobo, der sich gern mit ihm über seinen neuen Gedichtband unterhalten würde. Er sagt ein paar Worte auf Jiddisch und ein paar auf Portugiesisch mit argentinischem Akzent. Sie verabreden ein Treffen in der Bibliothek des Hebräischen Clubs. Jacobo bittet ihn, sämtliche Originale der Gedichte und, falls er Manuskripte hat, auch diese mitzubringen.
    K. stellt noch einmal sämtliche Daten und Fotos zusammen. Er nimmt auch einige der jiddischen Gedichte mit, als Ablenkungsmanöver. Jacobo empfängt ihn in der Tat überschwänglich im Café der

Weitere Kostenlose Bücher