K. oder Die verschwundene Tochter - Roman
Text und eine von ihnen machte den grafischen Entwurf. Auf der ersten Seite, so beschlossen sie, sollte das schöne Foto der Tochter bei der Diplomübergabe erscheinen.
Nachdem er sämtliches Material in Händen hielt, beschloss K., die kleine Druckerei in seiner Nähe aufzusuchen, die einem anarchistischen Italiener namens Ítalo gehört hatte, einem seiner alten Kunden, bereits verstorben, mit dem K. des öfteren ironische Ansichten über Politik ausgetauscht hatte. K. zog stets die Läden in seinem Stadtteil vor. In der Vergangenheit hatte diese Druckerei eine kleine anarchistische Zeitung mit dem Namen Labor gedruckt. Nun, nachdem der Sohn sie übernommen hatte, wurden hier Hochzeitseinladungen, Visitenkarten und Rechnungsformulare gedruckt.
Am Tag darauf schaute K. nochmals in der Druckerei vorbei, um sich den Kostenvoranschlag abzuholen und zu fragen, wann das Büchlein fertig wäre. Der junge Mann empfing ihn äußerst aufgebracht:
»Können Sie mir erklären, wie Sie dazu kommen, subversives Material in meine Druckerei zu bringen? Hier, nehmen Sie das und verschwinden Sie und kommen Sie mir bloß nie wieder mit einem solchen Anliegen. Wo soll denn das hinführen, ein anarchistisches Pamphlet, eine politische Aktivistin, die verschwunden ist, eine Kommunistin. Sie war doch Kommunistin, oder?«
Die Hilfsbedürftigen
Wenn die Jahre einem zur Last werden, sollte es doch so sein, dass die Kinder sich um Vater und Mutter kümmern und sie zur letzten Ruhe betten; ihre Kinder und die Kinder ihrer Kinder werden es genauso machen, und so geht’s immer weiter. Wie es jetzt weitergehen soll, weiß ich nicht. Sie haben ja noch Ihren kleinen Laden, Ihre Tochter hat davon erzählt, aber wir, was haben wir? Die Frau hat zwar eine Rente, aber die ist ziemlich knapp; ich selbst hab nicht mal das. Er war der erste in der Familie, der ein Diplom gemacht hat, er war fleißig, hat tagsüber gearbeitet und abends studiert, er hat gut verdient, an jedem Monatsende ist er hergekommen, hat alle Rechnungen bezahlt, Strom, Wasser; alles, was wir im Lebensmittelladen und beim Fleischer anschreiben ließen, hat er übernommen. Er war’s, der uns zu dem zweistöckigen Häuschen hier verholfen hat, er hat sich um den ganzen Papierkram gekümmert, die Anzahlung auf den Tisch gelegt und dann die Raten abbezahlt, da konnten wir ganz beruhigt sein. Unsere Jüngste hilft ja, wo sie kann, aber es ist nicht viel; sie lebt getrennt, muss ihre Tochter durchbringen. Die Haare meiner Frau, die immer noch ganz gut beieinander war, sind vor Kummer weiß geworden, jetzt heult sie bei jeder Kleinigkeit los. Meine alten Knochen sind zu nichts mehr zu gebrauchen; es war ein Arbeitsunfall, aber sie haben mir nur dieses magere Schmerzensgeld zugesprochen, das kaum für die Medikamente reicht, und dann musste ich mir auch noch anhören, sie täten mir sogar einen Gefallen, denn ich war ja nicht krankenversichert. Er hat recht gehabt, wenn er sagte, ich sollte immer ein bisschen mehr verlangen, für’s Alter auf die hohe Kante legen; er sagte, sie würden mich brauchen, er hatte eine Wut auf die Fabrikanten, wissen Sie? Und es stimmt, sie haben mich wirklich gebraucht. Hier in der ganzen Umgebung, wen haben sie da gerufen, um ihre Kessel zu flicken, die Rührgeräte und Pumpen zu reparieren? Immer nur mich. Ob am Tag oder in der Nacht, von hier bis Aparecida und auf der anderen Flussseite, in Caçapava genauso wie in Jacareí; damals gab’s überall Molkereien, Weiden und Äcker, danach ist alles den Bach runter gegangen; das hat er auch mitgekriegt, er hat nicht viel geredet, wissen Sie, war kurz angebunden, aber er hat früh gemerkt, dass es mit der Landwirtschaft bald vorbei sein würde. Dann kamen die Montage- und Ersatzteilfabriken; irgendwann müssen die Leute Schrauben futtern, dann war’s das mit der Milch und dem Quark, auch Dickmilch oder Butter oder Zucker gibt’s dann nicht mehr; ich übertreibe, glauben Sie? Ja, vielleicht, es war nicht er, der das behauptet hat, ich spinne ein bisschen herum, er hat nie etwas gesagt, das nicht Hand und Fuß hat. Haben Sie diesen Haufen Bücher in der Garage gesehen? Alle von ihm … jetzt sind sie für die Katz. Ich hab ja das ABC gelernt, aber seit dem Unfall können die Augen nicht mehr alles entziffern, es reicht gerade mal so für die Sportseite, und davon auch nur so’n kleiner Teil; für ihn waren die Bücher heilig, niemand durfte sie auch nur anfassen. Lesen konnte er schon ganz früh. Schon
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