K. oder Die verschwundene Tochter - Roman
auch nicht danken. Ich finde es nur schlimm, schlechte Nachrichten zu überbringen. Aber Sie wussten es doch schon, nicht wahr? Alle wissen es schon, sie tun nur so, als ob sie noch ein Fünkchen Hoffnung hätten, oder es ist ein Schuldgefühl, wer weiß, sie fühlen sich gezwungen, weiter zu suchen, sich weiter zu täuschen, sich weiter zu beschäftigen. Wie ich schon gesagt habe, Sie sind nicht die erste, die mich aufsucht. Ich weiß, wie wichtig das ist. Lassen Sie uns Klartext reden: Einen Menschen wie mich aufzusuchen, die Geliebte dieses Ungeheuers, das ist nicht dasselbe wie einen unbekannten General aufzusuchen, der das System verteidigt, sich aber nie die Hände schmutzig gemacht hat, oder sich an einen Regierungsfreund zu wenden, selbst an einen Gefängniswärter, der nur Befehle empfängt. Einen Menschen wie mich aufzusuchen, das funktioniert als Beweis dafür, dass man alles versucht hat, ja, nun sogar mit jemandem wie mit mir sprechen will. Ich mache mir nichts vor, ich weiß, dass alle weiterhin glauben, ich sei eine schamlose Person, und dass sie mich aus eben diesem Grund aufgesucht haben, sogar zu einer Hure habe ich Kontakt aufgenommen. Ist es nicht genau das, was ich getan habe, um Zinho zurückzubringen? Bin ich nicht mit einem tief ausgeschnittenen, luftigen Kleidchen hingegangen? Und war es nicht so, dass die Dinge ihren Lauf genommen haben? Ich brauche euch auch, um das alles ins Gleichgewicht zu bringen, diesen ganzen Dreck, den ich aufgewirbelt habe. Aus diesem Grund müssen Sie mir nicht danken. Ich habe zu danken.
X
Natürlich bin ich nicht daran schuld, dass ich mich verliebt habe. Kann jemand, der sich verliebt, daran schuld sein? So, jetzt verstehen wir uns. Wir haben bereits von Mutter zu Mutter gesprochen, jetzt reden wir von Frau zu Frau. Eine Frau ist nur schuldig, wenn sie die Leidenschaft verleugnet. Das Verbrechen besteht nicht darin, sich zu verlieben, das Verbrechen ist, sich dagegen zu sträuben, ein Verbrechen gegen sich selbst. Das gilt für die Frau, das gilt für den Mann, nicht wahr? Ich werde Ihnen jetzt etwas erzählen, etwas sehr Intimes. Manchmal, während wir miteinander schlafen, stelle ich mir für den Bruchteil einer Sekunde vor, anstelle einer anderen Person zu sein und diese andere ist eine Beute, die umstellt ist. Mir wird ganz kalt dabei. Ich habe das noch nie jemandem erzählt, nicht mal den Beichtvätern.
Ich habe schon lange nicht mehr gebeichtet. Wie ich Ihnen gesagt habe, war ich als Kind, in Paraná, streng katholisch, auch mein Vater, Gott hab’ ihn selig, aber der Beruf einer Anwältin verändert einen im Kopf, der Glaube an die Priester ist mir abhanden gekommen, ich kann seine Verachtung sogar verstehen. Eines Tages, als wir bereits zusammenlebten, bin ich zur Beichte gegangen, wissen Sie? Als ich mir sicher war, dass wir beide uns ineinander verliebt hatten, bekam ich einen Schrecken und erzählte alles meinem Beichtvater, ich sagte ihm, mit wem ich zusammenlebte und schilderte all die barbarischen Taten, die man ihm nachsagt. Und wissen Sie, was der Priester geantwortet hat? Er sagte, das fleischliche Zusammenleben außerhalb der Ehe sei eine Sünde, aber Gott würde mir vergeben. Das also war für ihn die Sünde? Und all das andere? Die Toten, die Folterungen, sind die etwa keine Sünde? Mit dem Mann zu schlafen, der für all das zuständig war, bedeutete das nicht, in Sünde zu leben? Beim zweiten Mal sagte der Priester, alles, was geschehe, sei von Gott gewollt. Von da an habe ich den Beichtstuhl nicht mehr betreten.
XI
Klar habe ich mir schon überlegt, ihn zu verlassen. Früher dachte ich jeden Tag daran. Nicht, dass die Leidenschaft zu Ende gewesen wäre. Sie ist nicht zu Ende. Es geht um den Preis, den ich zahle. Ihn verlassen, wie soll das gehen? Und die Angst vor der Trennung? Es ist nicht mehr diese Angst vom ersten Tag, die schon groß war, eine Angst vor dem grausamen, skrupellosen Kerl, der Herr über Leben und Tod von Menschen, von Zinho, ist. Jetzt geht es um diese Angst plus die Angst vor der Eifersucht, die Angst vor der entfesselten Wut des Mannes, der verlassen wird. Wieviele haben schon ihre Frau umgebracht, nur aus diesem Grund, selbst, wenn diese sie gar nicht gegen einen anderen Mann eingetauscht hatte? Ich bin sowieso schon gebrandmarkt, von meinen Brüdern verstoßen, darf meine Nichten und Neffen nicht sehen; das Feuerzeichen wurde mir wie mit einem glühenden Eisen auf die Stirn gedrückt, ähnlich wie bei dem
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