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K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

Titel: K. oder Die verschwundene Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Transit
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nachzudenken, abzuwägen. Ich sagte, ich komme, nennen Sie mir die Adresse und ich bin gleich da. Natürlich kannte ich die Adresse. Es war, um das Kennwort zu erhalten, die Bestätigung, dort ankommen und sagen zu können, ich bin hier, um mit XY zu sprechen, ich werde von ihm erwartet. Alle kennen dieses Gebäude, das jedem sogar aus der Ferne Angst einjagt.
    VI
    Ich weiß von diesem Fall des Dominikanerpaters, der sich seinetwegen umgebracht hat, ich kenne zwar nicht alle Einzelheiten, aber das, was ich weiß, reicht, damit ich mich miserabel fühle. Ich habe darüber gelesen. Wenn ich kann, lese ich, schließlich ist er mein Mann. Wir zwei reden nicht über solche Dinge, wir haben diesen Pakt geschlossen, aber ich möchte Bescheid wissen. Ich muss es wissen, versuchen, es zu verstehen. Wie ist es möglich, dass ein Mensch, der so gut zu mir ist, so böse zu anderen sein kann? Ich selbst bin auch alles andere als eine Heilige, wenn ich einen Vorteil erringen kann, dann tue ich es, aber Grausamkeiten wie diese, die er begeht, das muss ich gestehen, die erschrecken mich … Als ich das gelesen habe, bekam ich Panik.
    Einmal hat er zu mir gesagt: Es ist Krieg und im Krieg tötest du oder du krepierst. Denn seiner Meinung nach sollten die Pfaffen ihre Finger von der Politik lassen. Ich bin auch dieser Ansicht, aber dennoch ist mir dieses Gefühl von Respekt geblieben, das ich in Paraná hatte, als ich glaubte, Priester seien Stellvertreter Gottes. Als kleines Mädchen betete ich viel; Zinho war ein schwächliches Kind, ständig krank, und ich betete, es möge ihm besser gehen, ich hatte niemanden, an den ich mich hätte wenden können, deshalb suchte ich Zuflucht bei den Gebeten.
    Einmal hat er gesagt, dass ein Priester, der seine Nase in die Politik steckt, kein Priester ist, sondern ein Terrorist. Da habe ich begriffen, dass er die Priester hasst. Das eine ist, sie nicht zu mögen, wie es ja auch bei mir heutzutage der Fall ist. Das andere ist, sie zu hassen. Wenn er das Wort Priester aussprach, verzog er angeekelt das Gesicht, es geriet zu einer Fratze, die Nase lief rot an. Ein andermal sagte er: Diese Pfaffen – alles Perverslinge. Ich habe nicht nachgefragt, hatte aber das Gefühl, dass ein Priester sich womöglich an ihm vergriffen hatte, als er Messdiener war. Ich weiß, dass er Messdiener war, denn ich habe ein Foto gesehen.
    An dem Tag, als sie die Dominikanerpatres verhaftet haben, hat er gefeiert. In einem Restaurant im Stadtviertel Lapa, eine geschlossene Gesellschaft; das ganze Team hat dort gefressen und gesoffen. Ich hatte ihn noch nie so fröhlich gesehen, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Ich habe von diesem Gelage erfahren, weil sie sich per Telefon verabredet haben und ich es mitbekam. Als er in der Nacht nach Hause kam, fiel er über mich her wie ein Stier. Es war während der ganzen Zeit das einzige Mal, dass ich wieder diese Angst vom ersten Tag verspürte. Es war eine schwere Nacht. Wissen Sie, ich bekam Herzrasen. Hin und wieder glaubte ich, ich sei es, die gefoltert, die zu Tode gequält wird, nicht der Dominikaner. Als ich am Morgen aufwachte, war er schon gegangen. Ich habe den ganzen Vormittag lang nachgedacht. Aber ich hatte keinen, dem ich mich hätte anvertrauen können. Sogar meine Brüder haben mich verlassen. Da habe ich begriffen, dass ich zu einem einsamen Tier geworden war, einem Tier wie er, zu einer Frau, die verdammt war, die angewidert von den Nachbarn beäugt wurde, die keine Familie hatte, keine Freunde, als wäre sie die größte Hure aller Zeiten. Es blieben nur er und ich. Ich glaube, deshalb kann ich auch Menschen wie Sie verstehen, nicht, dass ich etwas für Sie tun könnte, aber es handelt sich auch nicht nur um Mitleid, denn nur so kann ich mich wie ein Mensch fühlen, selbst wenn ich keine gute Nachricht habe.
    VII
    Ein Sadist? Mir gegenüber nicht. Nicht ein einziges Mal. Nicht einmal in der Nacht, als sie die Patres festgenommen haben. Er war besitzergreifend, aber nicht sadistisch. Er empfindet Hass gegenüber den Kommunisten, das stimmt, Hass und Abscheu, ich merke es an den Telefongesprächen, die ich manchmal mit anhöre. Wenn es um einen Kommunisten geht, dann ist ihm alles recht, er hat freie Hand, er zertritt sie alle, als wären es Kakerlaken. Einen gewissen Respekt hat er nur, wenn der Kerl ein harter Knochen ist. Manchmal denke ich, dass es ein weiteres Problem war, dass der Pater nicht länger durchgehalten hat, doch egal, da es sich um einen

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