K
das?«, fragt Serge nach einer Weile.
»Wer weiß?«, sagt sie und lässt den Lichtstrahl umherwandern. »Sieht aus, als wären hier mindestens zwanzig Leute untergebracht. Da ist noch eine Stele.«
Soweit der Stein noch erhalten ist, zeigt er zwei zentrale, hintereinandersitzende Figuren, eine männliche, eine weibliche; die Frau flüstert dem Mann ins Ohr.
»›Ra-irgendwas, Herr der …‹«, liest Laura mit zusammengekniffenen Augen, »›seine Schwester, seine Geliebte, in seinem Herzen … Worte gesprochen von … unterlasse es …‹«
»Da ist wieder der Skarabäus-Gott«, sagt Serge und zeigt auf das Bild gleich unter dem sitzenden Paar, ein kniender Mann, Arme erhoben, vor einem riesigen Käfer auf einem Katafalk oder einer Plattform.
»›… mein Herz der Umwandlungen‹«, liest sie weiter vor, »›der aus sich selbst… der aus sich selbst hervortritt …‹«
Auf ihrer Stirn sind schwarze Flecken. Auch auf ihrer Wange. Serge rückt hinter Laura, kniet aufrecht wie sie und sieht, wie der Lichtstrahl über den Stein wandert und ihnen Bilder und Inschriften in den Blick bringt, als würde der Metallstab selbst sie projizieren.
»›Meret-irgendwas‹«, liest sie langsam, »›sie, die liebt … die Stille liebt … er, der ist… der stirbt, der ruht… ruht auf seinem …‹«
Ihr Atem geht schneller. So wie seiner. Serge weiß, und er weiß, dass Laura es weiß, und dass sie weiß, dass er es weiß, dass dies nicht an der knappen Luft liegt, auch nicht am Bruchstückhaften der vorgelesenen Inschriften: Trotz Abfall und Bitumen kann er ihre Erregung riechen. Seine Brust berührt beinahe ihren Rücken. Leicht beugt er sich vor, stellt den Kontakt her. Sie erstarrt, dann legt sie den Kopf in den Nacken, berührt sein Gesicht; ihr Mund bewegt sich immer noch in kurzen Zuckungen, doch kommen ihr keine Worte mehr über die Lippen. Er küsst ihren Hals; sie legt ihm eine Hand an den Kopf und zieht ihn auf ihre Schulter. Er fängt an, ihre Kleider abzustreifen, dann seine. Als er sich die Socken auszieht, spürt er ein Kitzeln am Knöchel. Dann ist er in ihr, seine Hände gleiten über ihren Rücken, während sie sich an Schuttbrocken festklammert, an Bitumen und Knochen. Sein Knie rutscht über etwas, ob organisch oder nicht, lässt
sich unmöglich sagen; dann sind auch seine Hände auf der Erde und finden andere Hände, nicht nur ihre. Ihm kommt es wie eine Orgie vor: als vervielfachten sie beide sich, ihre Leiber, zu einer Unzahl von Gliedmaßen, abgelegten Hüllen, den Exkreten von abertausend Vereinigungen, abertausend Toden. Irgendwann lässt Laura die Taschenlampe fallen; ihr Licht flackert über die Wand, und dann, kurz bevor ein letztes Keuchen durch Kammern und Gänge widerhallt, geht sie aus. Hinterher krabbeln sie auf Händen und Knien umher, tasten danach, nach ihren Kleidern, nach einander…
Irgendwie gelingt es ihnen, den Weg zurückzufinden. Laura bleibt in ihrer Kammer; Serge geht hinaus ins Tageslicht. Er steigt zu der Stelle hinauf, von der aus er sich zuvor schon umgesehen hat, und blickt erneut über das Gelände. Aus irgendeinem Grund erinnert er sich an Pollards Warnung vor gefälschten Antiquitäten, und ihm huscht der irre Gedanke durch den Sinn, dass dieses ganze Gräberfeld künstlich sein könnte, so unecht wie eine falsche Zehn-Piaster-Münze. Sein Knöchel juckt. Die Kleider sind schwarz verschmiert. Wieder lässt er den Blick über die Anhöhen und Plateaus der Landschaft schweifen, nimmt sein Notizbuch heraus und schreibt: »Hier so gut geeignet wie sonst wo.« Ehe er das Buch schließt, streicht er das Wort »Binda« aus und schreibt stattdessen: »Bin nicht.«
III
Da sie mit der Strömung fahren, dauert die Rückreise nach Kairo nicht so lang wie die Hinfahrt. Der Fluss wirkt jetzt konkreter, ein Förderband, das die Ani voranträgt, statt sie aufzuhalten. Nun, da ihm der Nil nicht mehr entgegenrauscht, sieht Serge auch einzelne Schlickwolken im Wasser schweben, manchmal sogar riesige Brocken, die flussabwärts treiben, als würde das
Land von einem enormen, kontinentalgroßen Klistier geleert. Diesmal ist er allein mit der Mannschaft, der einzige Europäer. Bruchstücke früherer Gespräche mit den Reisegefährten ziehen ihm durch den Sinn, während die Dahabiya Sehenswürdigkeiten passiert, die ihm von der Hinreise vage bekannt vorkommen – doch da sie sich nun in der entgegengesetzten Richtung bewegen, spulen sich die Fragmente falsch herum ab wie durch den
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