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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Vikar an, den Sarg – niemand ihn. Der Vikar strahlt immer noch angriffslustig und redet vom Himmel. Während Serge sich mit einer Beule in der Hose umblickt, weiß er plötzlich genau, dass es so einen Ort nicht gibt: Da sind der Sarg und die Krypta, der Rasen, die Kastanienbäume, die frisch aufgeworfene Erde. Einer der Arbeiter kratzt sich an der Nase. Eine Fliege umsummt den Kopf des Vikars. Er versucht, sie zu ignorieren, doch sie streift sein Gesicht, kitzelt über seine Lippen, weshalb er seine nächsten Worte halb ausbläst, halb ausspuckt. Ist die Fliege auf dem Arcady Field geschlüpft, dürfte sie aus Schafsdung hervorgekrochen sein. Serge malt sich aus, wie winzige Kötel auf den Lippen des Mannes deponiert werden, wie die noch winzigeren Bakterien aus den Krümeln über die Lippen ins Innere krabbeln, gegen den Schleim anschwimmen, vorbei an malmenden Zahnfelsen, der vorschnellenden Zunge und gurgelnden Epiglottis hinab in den Magen…
    Die Worte des Vikars versiegen. Serges Vater führt die Tagesschüler nach vorn, und sie sagen ihr Gedicht auf:
    Das weite Firmament dort droben,
Die glitzernd blaue Himmelsrobe,
Ätherisch schimmerndes Gehäus,
Dem großen Schöpfer Lob und Preis …
    Ihre Aussprache ist verzerrter als in den Historienspielen: Sie hatten weniger Zeit zu üben, sind nervöser. »Ätherisch« und »schimmerndes« werden endlos in die Länge gezogen; »Himmelsrobe« wird zu »Himmld-roge«. Der Himmel ist tatsächlich glitzernd blau; das stimmt jedenfalls. Serge hebt den Kopf und schaut hinauf. Die Vögel fliegen weit oben, ein Hochdruckgebiet also. Er sollte heute Abend guten Empfang haben. Noch
ein Schluchzer von einem der Mädchen um Frieda; ein anderer Trauergast schnieft. Monoton und nicht länger im Gleichklang stimmen die Tagesschüler die zweite Strophe an, beschreiben die Abendschatten, den Mond und alle Planeten:
    Ihr Umlauf bezeugt die frohe Kund,
Verbreitet die Wahrheit von Mund zu Mund …
    Serge, in Gedanken immer noch woanders, fällt ein Photo aus der letzten Wireless World ein, das die südlichste, irgendwo im chilenischen Archipel befindliche Marconi-Station der Erde zeigt – vier riesige, von Spannseilen gehaltene Masten mit zwischen den Spitzen gespannten Drahtreihen, die den Himmel über einer winzigen Kabine in ein quadratisches Maschennetz teilen. Bis zu sechs Monaten muss das Personal dort ausharren, ehe Ersatz kommt. Welche Wahrheiten mochten sie zum Pol schicken? Telegramme, Nachrichten, Wetterberichte, Kricketergebnisse, Tagesschlusskurse …? Der Blick eines weiblichen Trauergastes fällt auf ihn, ein tränenschwerer, mitleidsvoller Blick, der ihm sagen will, dass sie seine Trauer versteht. Er schlägt die Augen nieder. Das kann sie nicht: Er fühlt keine. Er weiß, er sollte – aber es ist keine Trauer da, und mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Ihm ist unbehaglich zumute: zum einen wegen seiner priapischen Verfassung, zum anderen aber wegen eines Gefühls unerledigter oder, genauer, unenthüllter Dinge. Die Tabellen, Zeilen, Buchstabenfolgen und Satzfetzen, die Sophie von sich gab, als sie durch den Mosaikgarten ging – und darüber hinaus, vielleicht auch dahinter , die unbestimmten, dräuenden Leiber und gedämpften Signale, die er halb gesehen, halb am äußersten Ende der Skala gehört hat, irgendwo unter dem Krachen, den eruptiven Entladungen meteorischer Ereignisse, galaktischer Emanationen: Immer fester ist er davon überzeugt, dass sie etwas bedeuten und von irgendwo herkommen,
von einem Ort, den er nicht aufspüren konnte, ehe der einzige Mensch, von dem er das Was, das Wo und Warum hätte erfahren können, sich entschied, incomunicado zu werden…
    Die Schüler halten inne, dann beginnen sie stockend die letzte Strophe:
    Doch was in feierlichem Schweigen
Sich dreht im dunklen Erdenreigen;
Was Stimme nicht noch Klang aufweist,
Doch strahlend blinkt im Sternenkreis?
Das alles freut sich der Vernunft …
    Die Stimmen gelangen ans Ende der Rille, verstummen; es folgt eine Pause. Serge hört von der anderen Seite des Telegraph Hill ein Automobil und schaut wieder auf den Käfer, der sich immer noch mit dem Erdbrocken abplagt. Sein Vater erteilt den beiden Arbeitern eine Anweisung, die daraufhin den verhüllten Sarg vom Podium auf die Plattform über den Graben tragen und ihn mittels Winde auf die Gleise befördern. Ein Arbeiter geht zur zweiten Winde und beginnt zu kurbeln; der Sarg gleitet zur Krypta. Karrefax hastet zu den Vorhangstreben und

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