K
dessen spanische Gemahlin den Wünschelrutengänger Baron Karl von Binda herberufen, der die Quelle auf dem Gelände ihres eigenen Schlosses fand.«
»Wie praktisch«, schnaubt Clair verächtlich. »Ein unterirdisches Wasserreservoir von diesen Ausmaßen wäre auch unter einer Bauernhütte entdeckt worden, falls der blaublütige Baron dort danach gesucht hätte.«
»Stimmt nicht«, erwidert Serge. »Um das Sanatorium bauen zu können, musste Maxbrenner, der Ingenieur, Rohre von unterhalb des Schlosses durch die ganze Stadt verlegen; außerdem hat er Pumpen installiert, Heizöfen und auch sonst allerhand Apparaturen. Deshalb können sich heute, steht hier, ›alle Besucher an diesem stärkenden Getränk gütlich tun‹. Ach, sieh mal, es gibt sogar eine Liste mit sämtlichen Inhaltsstoffen.«
Sein Blick wandert über eine Tabelle, laut der Cystein Schwefel enthält, der selbst wiederum in diverse Chloride, Karbonate und Sulfate unterteilt wird: Natriumchlorid, Lithiumchlorid, Pottasche-Chlorid; Magnesiumchloride, -sulfate und -karbonate, Kalkkarbonat, dann, wie faszinierend, »freie und leicht freizusetzende« Arten von Kohlensäure. Die Schwere in Serges Bauch, die er seit geraumer Zeit ständig spürt, macht sich bei der Lektüre dieser Tabelle erneut bemerkbar. Er blättert um und entdeckt ein Photo von Klodĕbradys Grand Hotel, auf dessen Terrassen sich Wasser trinkende Gäste tummeln, über denen die Fahnen sämtlicher europäischen Staaten flattern; darüber wiederum das Signet Herz mit Putte.
Dieses Signet erwartet sie auch am Bahnhof, auf eine Holztafel gleich neben den Stadtnamen gemalt, das Herz schwarz vor Ruß. Gepäckträger laden ihre Taschen auf und schieben den ratternden Karren die Hauptstraße entlang. Da stehen, verteilt in einem Park, die Kuppelmausoleen; und dort sind auch die Spaziergänger, genau wie in der Broschüre, wenn auch nicht so viele. Krankenschwestern sind zu sehen, wie sie in Dreiergrüppchen miteinander schwatzen oder Krüppel in Rollstühlen an Tand verkaufenden Kiosken oder Drogerien vorbeischieben, über deren Türen kleine Waagen mit gewundenen Schlangen hängen.
Die Terrassen des Grand Hotels sind halb leer, Stühle an Tische gekippt. Heute wurden nur drei Fahnen aufgezogen: Schlaff hängen sie über zwei alten Männern, die auf einer Bank im Schutz ihrer Zeitungen ein Nickerchen machen. Die Gepäckträger übergeben Serge und Clair an ihre Kollegen im Hotel, die sie auf ihre Zimmer bringen. In seinem entdeckt Serge eine Saisonkarte für die Bäderbenutzung, zwei Flaschen mit sprudelndem, doch etwas trüb aussehendem Wasser und einen Notizblock mit dem Herz-und-Putte-Signet – nur sprießen die Blumen diesmal direkt aus dem Herzen, struppig
wie Unkraut und Löwenzahn zwischen den Bahnschwellen, während sich vier Putten damit abmühen, das Herz in die Höhe zu halten. Daneben liegt eine Karte mit einer Liste der angebotenen Therapien: Inhalation, neunundzwanzig Kronen; Gasinjektion, zwanzig Kronen fünfzig; Unterwassermassage, zweiundzwanzig; und so weiter. Wie viel ist eine Krone wert? Serge muss wieder an die habgierigen Mstislaws und Wladimirs denken, an ihr verdorbenes Blut, an abgeschlagene Köpfe.
Abendessen ist um sieben. An einem Ende des langen Speisesaals steht ein weiß livrierter Kellner, Hände auf dem Tresen; hinter ihm ragen Flaschen wie Orgelpfeifen aus einem Stufenregal auf. Unter einer Stuckleiste mit gewundenem Weinlaub zeigt eine Wand ein Fresko in griechisch-römischem Stil: Togen tragende Männer und Frauen, die Wasser nippen und sich mit Spielen vergnügen, mit Wettkämpfen im Diskus-und Speerwerfen, über die ein togagewandeter Schiedsrichter wacht. Der Raum ist nicht einmal halb voll. Serge und Clair werden von einem Kellner an einen kleinen runden Tisch geführt, wo man ihnen zu Wachteln und Salzkartoffeln eine Flasche Rotwein serviert.
»Trink langsam«, rät ihm Clair. »Der Wein soll gut für die Verdauung sein.«
Serge zuckt die Achseln. Die übrigen Gäste unterhalten sich in einem Gemisch verschiedener Sprachen und schauen nur gelegentlich zu ihnen herüber. Serge kann Französisch erkennen, Deutsch und Spanisch; Clair hört außerdem noch Ungarisch heraus, Serbisch und Russisch. Englisch wird auch gesprochen, klingt aber ebenfalls fremd, da sich nur jene damit behelfen, für die Englisch nicht die Muttersprache ist. Als sie nach dem Essen ihren Kaffee in einem Raum einnehmen, dessen Wände Exemplare einheimischer Wildtiere in Vitrinen
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