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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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hereinkommt.
    »Nicht gut, sehr nicht gut«, sagt Dr. Filip missbilligend. »Bitte ansehen.«
    Er reicht Serge das Glas. Von der Krankenschwester, die dessen Inhalt aus ihm hydrogefördert hat, wurde ein Etikett beschriftet und aufgeklebt. Die Masse im Glas ist fest, lakritzschwarz, mit einer welligen Oberfläche, in deren Falten und Kniffe sich kleine Residuen dunkelroter Feuchtigkeit angesammelt haben.
    »Blut«, sagt Dr. Filip und zeigt darauf. »Du hast kachektische Verfassung: Behinderungen im Gedärm verursachen Autointoxikation. Ptomain, Toxine, Pathogene, sie alle dringen in den Blutkreislauf. Guck, wie dunkel das ist.«
    »Das Blut, meinen Sie?«, fragt Serge. »Oder…«
    »Beides«, faucht Dr.Filip. »Noch dunkler, wenn nicht behandelt. Du hast in dir eine Giftfabrik, die in Arterien, Leber, Nieren und was weiß ich absondert. Auch ins Hirn, wenn wir’s nicht verhindern.«
    »Und die Ursache?«, fragt Serge.
    »Morbide Masse!« Dr. Filips dünnes Stimmchen zirpt aus dem kleinen Mund. »Böses Zeug. Würde ich reden vor mehreren Hundert Jahren, ich würde es chole nennen, Galle – schwarze Galle: mela chole . Heute kann ich Epigastritis dazu sagen, ernährungsbedingte Toxämie, Darmfäulnis, noch sechs, sieben mehr Namen –, aber sie erklären nicht, was ist die Ursache. Es braucht einen Wirt, der es nährt, und du bist bereit. Was es will, hast du gestern gesagt, und das heißt, du bist bereit, seine Bedürfnisse zu stillen, sie zu deinen zu machen. Das müssen wir ändern.«
    »Wie?«, fragt Serge.

    Dr. Filips Schnurrbartspitzen knistern, als sich die Lippen zu einem gequälten Lächeln verziehen. »Das kann ich dir nicht sagen«, antwortet er. »Musst du selbst herausfinden. Ich kann Behandlung verschreiben und Diät, kann Symptome beobachten. Der Rest liegt bei dir.« Er zieht ein Blatt Papier aus der Schublade und beginnt zu schreiben. »Geh damit zur Apotheke«, sagt er Serge. »Die Tabletten, eine am Tag – mehr nicht: Zu viele auf einmal bringen dich um. Und trink Wasser, ständig, den ganzen Tag. Wenn Unterleib ein bisschen anschwillt, keine Sorge. Wie euer Lorddichter Tennyson schon über den Glauben sagte: ›Lasset ihn wachsen.‹« Wie dünne Glühfäden glimmen seine Augen, verraten Genugtuung über das gelungene Bonmot. Dann kehrt ihre metallisch graue Farbe zurück, als er Serge sagt: »Bitte jetzt gehen.«
    III
    Serge hält einen festen Tagesablauf ein. Jeden Morgen spaziert er durch den Park und trinkt zur Musik des Orchesters vom Springbrunnen Mir, für den Wasser-und-Paraffinöl-Einlauf geht er dann zum Haus Letna, anschließend zur Hydrotherapie und danach zur Massage mit der so erdig riechenden, krummrückigen Krankenschwester. Der durch den Einlauf hervorgerufene Blitzeffekt übersteht die Massage und hält bis kurz nach dem Mittagessen an, dann schläft er eine Stunde, und der Schleier verdichtet sich wieder. Nachmittags hat er Unterricht (Clair drängt ihn dieser Tage, Deutsch zu lernen, hält ihn für alt genug, Marx zu lesen) und macht Spaziergänge durch die Stadt. Das Abendessen nimmt er stets zusammen mit Clair ein, dann liest er eine Stunde im Gesellschaftsraum, oder er spielt Domino, auch Bridge, wenn sich eine Gruppe von vier, fünf Spielern zusammenfindet, Schach, wenn er allein
mit Clair bleibt. Anfangs gewinnt Clair jedes Mal, doch nach einer Woche findet Serge in der Hotelbibliothek ein Buch über Schach, lernt die Nummern und Buchstaben auswendig, mit denen Figur und Position benannt werden, und beginnt, die Manöver anzuwenden, die ihm so vertraut sind seit den Nächten des Transkribierens, in denen die Marconi-Funker sich einen Zug um den anderen übers Meer zusandten; von da an gewinnt er jedes Spiel. Ist er auf seinem Zimmer, trinkt er die Flaschen aus, die ihm jeden Morgen hingestellt werden, jene mit dem Herz-und-Putte-Signet und der Patentnummer auf dem Etikett. Abend für Abend schläft er mit einem Schwefel-Ruß-Geschmack auf der Zunge ein.
    Serge lernt die übrigen Patienten im Hotel kennen. Sie sind immer freundlich, und da er der jüngste ist, behandelt man ihn fast wie ein Maskottchen. Außer Herrn Landmesser und der Holländerin Tuithof gibt es da noch den Franzosen Monsieur Bulteau, der gern erklärt, wie die jeweilige Diät den Metabolismus beeinflusst, um dann die Namen der entsprechenden Chemikalien, Inhaltsstoffe und Magensäfte herunterzurattern; Pan Suchyx, einen Russen, der jeden Abend in einen Sessel versinkt, Notenblätter liest und

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