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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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gelegentlich eine Tonfolge vor sich hin summt, als prüfe er einen Vorschlag oder eine Argumentationskette; einen australischen Bankier namens Kleinholz, der aus seiner Westentasche ständig einen Notizblock mit Zahlenkolonnen zückt, die Serge für Kassenbucheintragungen oder Kontoauszüge hält, um dann mit einem Stift, den er mit dem Block zusammen aufbewahrt, Anmerkungen einzutragen; und schließlich noch eine unbestimmte Schar von Ungarn, Schweden, Serben und Italienern, die Serge jedes Mal lächelnd zunicken, wenn sie sich vor den ausgestopften Tieren oder auf der Treppe begegnen. Ihre Nationalität scheint die Leute hier weniger zu definieren als die jeweilige Art der Krankheit: Treffen die ältesten Insassen auf einen Neuling,
will ihr K4-nach-X-Zug nicht in Erfahrung bringen, woher er oder sie stammt, sondern nur, was mit ihm oder ihr nicht stimmt. Dies hat zur Folge, dass Patienten sich gern jenen anschließen, die dasselbe Leid plagt. Es gibt die Arthritiker und ihre Satellitenschar, jene mit Ischias und Neuritis, die abends gern am Puzzletisch zusammensitzen und die Teile mit steifen Fingern an ihren Platz schieben; dann ist da noch die Hautkrankheitenclique, die Ekzemer und Psoriasisten, die sich meist im Innenhof des Hotels herumtreiben (einen Platz, den die übrigen Patienten unhöflicherweise nur die »Leprakolonie« nennen); und schließlich diejenigen mit einer Harnwegsinfektion, mit arteriellen Spasmen, Hypertonie, Nierensteinen, funktionalen wie organischen Herzkrankheiten oder chronischer Leberkrankheit – kurzum jene, die Serge und Clair nur die »Einwecker« nennen, Leute, die hergekommen sind, um ihre Organe in Wasser zu baden, weil sie sich davon Heilung versprechen. Meist sind sie Dr. Filips Patienten, die man überall in Klodĕ brady daran erkennt, dass sie ihre Probengläser wie einen Ausweis mit sich herumtragen. Während Serge vor dem Behandlungszimmer wartet, fragt er sich, wo all die Proben bleiben. Werden sie in einem riesigen Archiv aufbewahrt? Oder in einem Keller, abgelegt in wabenförmigen Fächern wie der dickflüssige Honig von Bienen, die sich allein von schwarzen Blüten ernährt haben? Es muss viel davon geben, so viel, dass es mit den Haufen Cystein am Stadtrand von Klodĕbrady und in der umliegenden Landschaft mithalten könnte, Cystein, das unablässig auf Züge verladen und wer weiß wohin transportiert wird…
    Hinsichtlich des Cysteins hat Monsieur Bulteau eine Theorie, die er eines Morgens im Salon zum Besten gibt: »Für Schießpulver, n’est-ce pas ? Detonation: Wums !« In explosiver Geste fliegen seine Hände auseinander. »Die Preußen holen es in ihre arsenales , bereiten sich auf einen Krieg vor.«

    »Wie lächerlich!«, murmelt eine Deutsche und nippt an ihrem Kaffee. Kleinholz zückt den Block und beginnt eifrig Zahlen aufzuschreiben. Herr Landmesser verkündet:
    »Die Erde hier gehört Preußen von alters her, also kann es damit machen, was es will.«
    »Wieso gehört es zu Preußen?«, fragt Clair.
    »Diese ganze Region ist germanischen Ursprungs«, erklärt Herr Landmesser. »Selbst diese Statue, der Stadtpatron, Jiři, das ist bloß ein neuer, christlicher Name für einen alten germanischen Gott.«
    »Welcher Gott sollte das sein?«, will einer der Ungarn wissen.
    »Jirud. Er war ein Fürst, der, als er erkrankte, aus dem Reich vertrieben wurde und dann als Schweinehirt umherzog. Ihm fiel auf, dass seine Schweine sich in der Erde suhlten, und ihre Krankheiten verschwanden; also tat er es ihnen gleich und wurde ebenfalls geheilt. Dann hat er hier ein neues Reich gegründet und das alte gleich noch zurückerobert. Er war der Vater von Völsungr, der wiederum der Vater von Sigmund war, dem Vater von Siegfried.«
    »Aber«, wirft Serge ein, »niemand kannte die Heilkräfte von Klodĕbrady, ehe Baron von Binda die Quelle unterm Schloss fand und Maxbrenner Rohre quer durch die Stadt verlegte.«
    »Hast wohl die moderne Version der Geschichte geschluckt wie ein guter Junge seine Medizin, wie?«, erwidert Herr Landmesser mit herablassendem Blick.
    »Das ist preußische Arroganz typique !« Monsieur Bulteau schreit geradezu, die Hände immer noch explosiv ausgebreitet. »Sie glauben, ganz Europa gehöre ihnen; und dann erfinden sie diese dämlichen Mythen, um ihre Gier nach Land und Macht zu rechtfertigen.«
    » Monssiö !« Rot im Gesicht, knallt die Deutsche ihre Kaffeetasse auf den Tisch. »Sie sind nicht besonders höflich.«

    »Da hat sie recht. Sie

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