K
nierenförmigen Behältnis darunter.
»Ich kann nicht«, sagt Serge.
»Musst nicht schämen«, sagt Dr. Filip verächtlich.
»Daran liegt’s nicht«, erklärt Serge und läuft wieder rot an. »Ich meine, ich kann nicht. Es will nicht kommen …«
»Du sprichst davon, was es will?« Dr.Filips struppige Augenbrauen wandern bis zum Haaransatz hinauf, die Brille gleich mit. »Also: Für heute Nachmittag ich verordne Einlauf. Und«, fährt er fort, wobei er sich zu seinem Schreibtisch umdreht und nach einem Stift greift, »ich verschreibe Diät, die du musst strikt einhalten. Laktose: Dickmilch und Müsli. Und Obst. Kein Fleisch. Gib dies der Hotelküche; die kümmert sich drum.« Er reicht Serge zwei Karten. »Und du machst Hydrotherapie. Hier ist Plan.« Aus einer Schublade fischt er ein Blatt Papier, langt hinter sich und nimmt vom Regal ein Honigglas; beides gibt er Serge. »Bitte jetzt gehen. Morgen zurückkommen um vier. Und immer Wasser trinken: aus den Springbrunnen, zum Essen, ständig. Zu jeder Gelegenheit du trinkst.«
Serge geht zum Hotel zurück und fragt sich, wozu das Glas in seiner Hand gut sein soll. Er versucht, es mitsamt dem Speiseplan in der Küche abzugeben, doch der Koch händigt ihm das Glas wieder aus und rät ihm, es zur nächsten
Behandlung mitzunehmen, die, wie sich dann zeigt, in ebenjenem Gebäude stattfindet, in das er die vielen Krankenschwestern gehen sah. Die Krankenschwester, die Serge in einem Raum erwartet, der streng nach Desinfektionsmitteln riecht, verlangt, dass er sich Hose und Unterhose auszieht und über einen mehrteiligen Tisch beugt, dessen unteres Ende wie eine Rampe bis auf den Boden reicht; dann führt sie einen Gummischlauch in ihn ein und dreht einen Hahn auf. Als das lauwarme Wasser eindringt und ihn wieder verlässt, um kaum mehr als ein winziges Fragment dessen mitzunehmen, was in ihm steckt, scheint sich der Stoff des Schleiers, der seine Sicht verdunkelt, zu dehnen und ein wenig auseinanderzuklaffen, woraufhin die Gegenstände im Zimmer deutlicher hervortreten: die Hähne und Schläuche, die geflieste Ablaufrinne an der Wand, der Türgriff und die Schultern der Krankenschwester, als sie sich über die Rinne beugt, um seine Stuhlprobe zu entnehmen.
»Hast du Flasche?«, fragt sie.
»Flasche?«, erwidert Serge. »Nein. Sollte ich eine haben?«
»Doktor hat dir eine gegeben, glaub ich…«
Das Honigglas. »Mir war nicht klar, wofür ich das brauche…«
»Ich nehm eine andere«, sagt sie. »Zeig mir Karte.«
Er zeigt sie ihr. Sie überträgt Namen und Nummer auf ein kleines Stück Papier und gibt ihm die Karte zurück. »Nächste Mal bringen.«
»Nächstes Mal?«
Sie schaut ihn an, ohne zu antworten. Ihr Blick ist nicht unfreundlich, nur wissend und nachsichtig, ähnlich wie der von Maureen daheim in Versoie.
Die durch den Einlauf gewonnene Schärfe hält sich eine Weile: Als er durch den Park zurückgeht, kommt ihm die Luft heller vor, klarer, weniger fleckig. Das Gefühl dauert
gut eine Stunde an, dann zieht sich die Gaze erneut zusammen, wird wieder dichter, verschleiert die Welt. Als er nach einem Abendessen aus Dickmilch und etwas, das ihn an Pferdefutter erinnert, auf sein Zimmer geht, kommt er an den ausgestopften Ottern, Aalen und Hechten vorbei, und er stellt fest, dass er seinen Blick, als er ihn Dr. Filip zu beschreiben versuchte, mit dem Glas dieser Vitrinen hätte vergleichen sollen, das ebenso wolkig und von derselben feinfädigen Körnigkeit ist, durch die er alles sieht. Ganz wie das Glas in seinem Zimmer. Als er eine der Flaschen in die Hand nimmt, ist ihm, als hielte er eine verkleinerte, konzentrierte Version der Welt in der Hand – zumindest seiner Welt. Auf dem Etikett der Flasche prangt das Herz-und-Putte-Signet, darunter steht eine Patentnummer. Serge schraubt die Flasche auf und schenkt sich ein. Das Wasser ist wolkig, verdunkelt, rußig. Als er im Bett liegt, hat er noch immer den bitteren Geschmack im Mund, obwohl er sich zweimal ausgiebig die Zähne geputzt hat.
Die Hydrotherapie beginnt am nächsten Morgen. Nach dem Frühstück, Obst und Joghurt, sowie einem Spaziergang um den Springbrunnen Mir mit einem Glas, das er sich beim Kiosk am Schilderpfosten gekauft hat, geht er zu dem Gebäudekomplex, in dem die Hydrotherapie angeboten wird. Es ist das Maxbrenner-Haus, das wie Haus Letna, in dem er gestern seinen Einlauf bekam, über jener Quelle errichtet wurde, deren Namen es trägt. An der Anmeldung zeigt Serge seine Karte vor
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