Kabbala-Box (2 Romane in einem Band)
letzten Besuch vor drei Jahren – hat sich nicht viel getan. Hinter dem Tresen sitzt noch immer dieselbe Person, beinahe grau im Gesicht, vertrocknet von oben bis unten und die Brille soweit vorg eschoben, dass man meinen könnte, Minverva McGonagall aus Harry Potter säße mir gegenüber. Da ich das Prozedere von meiner Suche nach einer Stelle als Bürokraft anno Brotkruste noch kenne, halte ich mich gar nicht lange mit Mrs. McGonagall auf und schnappe mir aus dem Ständer gleich das Anmeldeformular, ziehe eine Nummer und hocke mich zu den knapp dreißig anderen, die wie ich darauf warten, einen Arbeitsberater sprechen zu können. Ich bin Nummer 177 (heute fickt mich das Leben aber wirklich hart). Meine Gitarre habe ich Mrs. McGonagall zur Aufsicht gegeben, sowie meinen Mops und meinen Strohhut auch, beides hat sie bei sich verstaut. „Mopsi, benimm dich!“ – Ausnahmsweise hat er einmal nicht gefurzt, wenn mit ihm gesprochen wird.
Die Anzeigentafel verkündet, dass Nummer 119 aufstehen und sich in die Höhle des Löwen begeben soll.
Auch das Formular, das ich schnell ausfülle, hat sich nicht geändert. Dafür brauche ich vielleicht fünf Minuten, dann starre ich in die Luft. Mein Gott, man fühlt sich so tief gesunken, wenn man hier ist. Bei Nummer 123 muss ich mal auf die Toilette, ich bin nervös. Als ich wiederkomme, ist Nummer 129 an der Reihe. Ich bin mir sicher, dass es noch dauern wird, deshalb hole ich mir aus dem Automaten einen Kakao, die Brühe ist okay, obwohl ich lieber einen Latte Macchiato wählen hätte sollen. Alles kann man nicht haben und wenn man so arbeitslos ist, wie ich, muss man mit dem Geringsten wohl am zufriedensten sein. Bis Nummer 132 an der Reihe ist, habe ich die Brühe geschlürft. Von 133 bis 155 habe ich nur Menschen beobachtet, war mit Mopsi kurz draußen und habe mich gewundert, niemanden verstanden zu haben. Ich komme mir echt wie ein Versager vor. Eine Mutter wickelt ihr Kind, das Kind riecht und duftet ausgezeichnet nach Baby. Ich mag keine Babys. Sie nerven mich. Sie schreien, obwohl der kleine Hosenscheißer neben mir, überhaupt nicht schreit. Bei 159 gehe ich nochmals aufs Klo und sage immer wieder zu mir, dass ich mich nicht genieren muss; jeder kann einmal arbeitslos werden. Als ich wieder komme, gönne ich mir einen Snack aus dem Snackautomaten. Ich lache, denn eigentlich esse ich ungesundes Zeugs ja nicht, aber heute muss eine Ausnahme gemacht werden. Nummer 161 finde ich geil, den würde ich gerne ficken. Er ist groß schlank und macht einen adretten Eindruck auf mich. Auch 162, der sein Vater zu sein scheint, finde ich super-fesch. Ich denke mir gerade, wie geil es sein muss, von einem Vater und gleichzeitig von seinem Sohn vergewaltigt zu werden. Mir ist fad.
Nummer 163 ist wieder ein alter Mann und mir vergeht der Gedanken nach Sex. Von Nummer 164 bis 171 bin ich genervt. Ich gehe auf und ab, sehe zu, wie die Leute rein und rau skommen. Warum muss mir das passieren. Mein finanzieller Polster ist auch ermüdend klein. Memo an mich: Spare, lerne, leiste was, dann haste, kannste, biste was.
Nummer 172 ist ein Türke, wie mir scheint, hat er ein Grinsen im Gesicht, was mich schon e twas missmutig stimmt. Nummer 173 ist ein Jugendlicher, der die Hose so weit runtergezogen hat, dass man meinen könnte, er hätte keinen Arsch. Nummer 174 ist eine extrem schwergewichtige Frau, die bei jedem Schritt schnauft. Im ersten Moment glaube ich, Mopsi wäre mir bis hierhin gefolgt. Weit gefehlt! Nummer 175 hat das Handtuch geworfen und war nicht mehr da. Nummer 176 ist eine Wasserstoffblondine, die schneller wieder draußen war, als sie reingegangen ist und jetzt … oh was für ein Wunder, ich höre die Posaunen von Jericho, bin ich an der Reihe.
Ich gehe in das Büro, den geheiligten Ort. Jetzt bloß nichts falsch machen, ist ein Gedanke. Denn ich möchte weder als Sozialschmarotzer gelten noch als jemand, der nicht arbeiten will. Ich will ja arbeiten und bis vor kurzem hatte ich auch Arbeit. Fuck, fuck, doppefuck – es wurde Zeit an das zu denken.
„Nehmen Sie Platz“, trötet mir der Herr zu.
Ich bekomme zuerst nur seine polierte Glatze zu Gesicht, was mich nicht weiter stört. Trotz des sommerlichen Wetters trägt er eine Weste, ich hoffe, ich bekomme nicht seine verschwitzen Achseln zu sehen. Ich setze mich. Sogleich trinkt er einen Schluck Wasser aus seinem Becher. Ich denke mir in dem Augenblick, dass ich wieder aufs Klo muss, verkneif mir aber meine Ansage
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