Kabeljau und Kaviar
Diejenigen, die nicht zur Tolbathy-Gruppe gehörten, waren offensichtlich
höchst verblüfft ob der plötzlichen Invasion von Edwardianern. Was alles noch
verwirrender machte, war die Tatsache, daß viele der Kabeljauherren und
Kabeljaudamen so alt waren, daß es den Anschein hatte, sie gehörten tatsächlich
in die Kostüme, die sie trugen.
Trotz der beträchtlichen Summe an
Jahren waren sie eine recht muntere Gesellschaft. Sie hüpften so häufig von
einer Seite des Ganges auf die andere und tauschten so oft die Plätze, daß es
Max schwerfiel, seinen persönlichen Who’s who zusammenzustellen. Er
hatte gehofft, daß Marcia Whet ihn ins Bild setzen würde, doch war sie zu sehr
damit beschäftigt, die Party in Schwung zu halten. Schließlich gab Max auf, saß
einfach nur da, sah gut aus und machte ein unergründliches Gesicht, bis der
Schaffner erschien und »Lincoln Station!« ausrief.
Dank der zahlreichen Tournüren und
Boas, der hingefallenen Handschuhe und verlegten Melonen dauerte es eine
geraume Zeit, bis alle Passagiere ausgestiegen waren. Endlich stand jedoch auch
der allerletzte in der bitterkalten Nacht, wo tatsächlich ein leuchtendroter
Bus auf sie wartete, der festlich wie ein Weihnachtsbaum erstrahlte und dessen
Fahrer Champagner kredenzte, um dafür Sorge zu tragen, daß auch niemand auf der
Fahrt zu den Tolbathys reisekrank wurde. Max hoffte inständig, daß der Fahrer
nichts getrunken hatte. Er selbst trank übrigens auch nichts, obwohl er sich
wie alle anderen ein Glas von dem Tablett genommen hatte, hätte es doch einfach
zu exzentrisch ausgesehen, wenn ein Neffe von Jem Kelling einen Drink
ausschlug.
Hier draußen lag weit mehr Schnee als
in der Stadt. Max mußte an die Wälder oben bei Ireson’s Landing denken und
wünschte sich, zusammen mit Sarah wieder dort in dem alten Kutscherhaus sein zu
können, um mit ihrer Hilfe seinen Wärmekoeffizienten zu erhöhen.
Als der Champagner weniger wurde und
die Gruppe immer mehr in Stimmung kam, wurde sein Wunsch nur um so stärker. Wie
war er bloß auf die Idee gekommen, sich auf diese altersschwache Orgie
einzulassen?
Weil es eben tatsächlich eine g u t e Idee
gewesen war, mußte er sich ärgerlich eingestehen. Jeremy Kelling war teuflisch
nahe daran gewesen, ermordet zu werden, und Max wollte den Grund dafür wissen.
Jem war nicht so reich, um wegen seines Geldes umgebracht zu werden. Seine
Schäkereien mit Frauen waren inzwischen auch nicht mehr dazu angetan, einen
Ehemann oder Liebhaber in mörderische Rage zu versetzen. Jem war nicht naiv
genug, um sich von jemandem hereinlegen zu lassen, und nicht durchtrieben
genug, um jemanden zugrunde zu richten. Die einzig logische Erklärung für die
Falle im Treppenhaus und den fingierten Anruf, der ihn aus dem Hause locken
sollte, war die, daß irgend jemand verzweifelt versucht hatte, zu verhindern,
daß Jeremy Kelling auf der Party der Tolbathys erschien.
Aber vielleicht war dies doch nicht die
einzig logische Erklärung. Wie paßte beispielsweise die verschwundene Kette mit
dem silbernen Kabeljau-Anhänger ins Bild?
Max war offenbar so sehr in Gedanken
versunken, daß Marcia Whet sich ihm zuwandte, um ihn mit einem ihrer
Fuchsschwänze an der Nase zu kitzeln.
»Liebster Mr. Gould, Sie wollen uns
doch wohl noch nicht verlassen? Doch nicht bereits nach einem Glas Champagner?
Der Abend hat noch nicht einmal angefangen!«
Max öffnete die Augen und lächelte,
wobei sein Schnäuzer verführerisch zuckte, was er keinesfalls beabsichtigt
hatte. »Aber nein. Ich mußte nur an den armen alten Jem denken. Er platzt
bestimmt vor Wut, wenn ich ihm erzähle, was er verpaßt hat!«
Marcia lachte. »Wahrscheinlich mußten
sie ihn ans Bett fesseln. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn er im Rollstuhl
auf den Gleisen hinter uns hergejagt käme, das Engelchenhemdchen vom
Krankenhaus als Segel an den Krücken aufgespannt. Obwohl ich mir nicht
vorstellen kann, daß Jem so etwas Phantasieloses wie diese Hemdchen überhaupt
anziehen würde. Ein schönes rotweißes Nachthemd wäre eher sein Stil, und dazu
eine Nachtmütze mit einer Troddel dran, die im Wind flattert. Man sieht ihn
direkt vor sich, nicht wahr?«
Sie besaß wirklich ein charmantes
Lachen. »Ich werde Jem heute abend bestimmt noch schrecklich vermissen, was mit
Ihrer liebenswürdigen Gesellschaft allerdings nichts zu tun hat. Ich bin nur
viel zu eitel, meine Brille in der Öffentlichkeit zu tragen, und weiß daher
nie, wer wer ist, wenn Jem
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