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Kabeljau und Kaviar

Kabeljau und Kaviar

Titel: Kabeljau und Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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mich nicht auf dem laufenden hält. Er hat Augen wie
ein Luchs, müssen Sie wissen.«
    »Das ist mir noch gar nicht
aufgefallen«, sagte Max.
    »So wahr ich hier sitze. Jem ist ein
absolutes Naturtalent. Selbst wenn er mit jemandem nur flüchtig bekannt ist,
kann er ihn auf eine halbe Meile erkennen. Wie er das fertigbringt, weiß ich
auch nicht, aber er erinnert sich sogar an die kleinste Kleinigkeit. Daß ein
Ohr höher sitzt als das andere oder daß jemand beim Gehen die Füße nach innen
setzt. All die winzig kleinen Dinge, die den meisten Menschen nie auffallen
würden. Und er kennt wirklich jeden, obwohl er mit einigen die halbe Zeit nicht
mal spricht. Sie sollten mal sehen, wie er Obed Ogham links liegen läßt.«
    »Ist Ogham der Herr mit dem grauen
Zylinder und den gelben Handschuhen?«
    »Mein lieber junger Mann, habe ich
Ihnen nicht gerade gebeichtet, daß ich blind wie ein Maulwurf bin? Warten Sie,
bis Ogham in Sichtweite meiner Lorgnette ist, dann werde ich Ihnen den Mann
zeigen.«
    »Vielen Dank. Ich müßte ihn eigentlich
kennenlernen, um der Familienehre willen sozusagen. Jeder Feind von Jem ist
auch mein Feind. Jedenfalls heute abend. Das ist ja sehr interessant, daß Jem
alle Leute schon von weitem auf Anhieb erkennt. Wissen viele seiner Freunde,
daß er das kann?«
    »Ach Gott, natürlich, das wissen wir
alle. Deshalb ist Jem ja auch auf Partys immer so unentbehrlich. Man braucht
sich nur an ihn heranzuschleichen und ihm zuzuflüstern: ›Wer ist die gräßliche
Frau in dem lila Kleid?‹ oder was auch immer. Auf diese Weise blamiert man sich
wenigstens nicht bis auf die Knochen, wenn die Dame sich als die eigene
Schwägerin entpuppt; oder Ex-Schwägerin, was noch peinlicher sein könnte.«
    »Kann ich mir lebhaft vorstellen.«
    Und damit hatte er bereits ein
exzellentes Motiv, warum Jem unter allen Umständen der Tolbathy-Party
fernbleiben mußte. Irgend jemand, der nicht unbedingt zu dieser Gruppe der
Festgesellschaft gehören mußte, jedoch ganz sicher irgendwann im Laufe des
Abends im Zug sein würde, wollte das Risiko vermeiden, von dem Mann erkannt zu
werden, der dafür berühmt war, jede Verkleidung auf Anhieb zu durchschauen.
    Diese Person konnte sowohl eine Frau
als auch ein Mann sein, wenngleich Max davon ausging, daß es sich eher um einen
Mann handelte. Denn die anwesenden Damen hatten zwar den Stil ihrer Kleidung
abgewandelt, wenn auch in einigen Fällen gar nicht so sehr, an ihren Gesichtern
jedoch konnten sie kaum große Veränderungen vornehmen. Den Männern dagegen bot
sich eine willkommene Gelegenheit, ihre Züge hinter einer ungewohnten
Barttracht zu verbergen.
    Falsche Bärte und Perücken waren
traditionelle und sehr wirkungsvolle Maskierungen. Und diese Gesellschaft war
zweifellos überaus traditionsbewußt. Aus Marcia Whets Worten über die
allgemeine Sehschärfe der Anwesenden schloß Max, daß sich die meisten Gäste
leicht durch ein oder zwei Lagen von Fuzzleys’ haarigen Meisterwerken hinters Licht führen ließen, solange die Person
hinter dem Bart ihnen nicht zu nahe kam oder zuviel redete. Wenigstens schien
der Witzbold, der die Sache eingefädelt hatte, dieser Meinung zu sein.
    Ob hier jedoch wirklich irgendeine Sache
im Gange war, würde Max noch früh genug erfahren. Er bedauerte allerdings sehr,
daß er durch seine Rolle als einsamer Außenseiter benachteiligt war. Es gab
unter den Gästen zwar einige Ehepaare, er hätte daher die Männer an ihren
Frauen erkennen können, wenn er die Frauen nur gekannt hätte. Aufgrund des
hohen Alters der meisten Anwesenden gab es allerdings auch eine beachtliche
Zahl von Witwern und Witwen, außerdem einige Personen, die unverheiratet
geblieben waren. Die Aussichten, sie alle zu identifizieren, um so einen
Überzähligen unter ihnen zu entdecken, waren nicht besonders rosig. Marcia Whet
konnte ihm dabei kaum behilflich sein. Er mußte daher wohl oder übel auf ihre
angenehme Gesellschaft verzichten und sich jemandem anschließen, der besser sehen
konnte als sie mit ihrer Lorgnette.
    Das mußte doch machbar sein. Jetzt, da
sie wußten, wer Max war, oder es wenigstens zu wissen glaubten, behandelten ihn
selbst die Männer recht zuvorkommend. Der Mann, den er als Durward
identifiziert hatte, lehnte sich ständig in den Mittelgang, um mit ihm zu
plaudern, und blinzelte ihn liebenswürdig durch seine dicken Brillengläser an.
Problematisch war allerdings, daß Durward Max fälschlicherweise für einen Tenor
namens Ernest hielt, der

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