Kabeljau und Kaviar
aber schließlich doch noch die
Zeit, Max’ schwarzen Kaschmirmantel und den Zylinder, den Dolphs Frau Mary
ursprünglich für Jem herausgesucht hatte, zu verstauen. Gemeinsam mit Max
befreite das Mädchen daraufhin Mrs. Whet aus Boa und Mantel und nahm den
Fasanenhut entgegen, woraufhin Max seine Begleiterin durch wogende Petticoats
und falsche Bärte hindurch zurück in den hinteren Wagen führte.
Die Tolbathys wußten wirklich, wie man
eine elegante Feier ausrichtete, soviel stand fest. Das Licht war gedämpft, so
daß alle Damen attraktiv aussahen und die Herren zumindest einigermaßen
distinguiert wirkten. Max vermochte zwar keinen Springbrunnen zu entdecken, der
Champagner versprudelte — offenbar war dies eine der maßlosen Übertreibungen
gewesen, zu denen Onkel Jem sich so gern hinreißen ließ doch er bemerkte, daß
im Speisewagen eine Bar eingerichtet war, die von einem Barkeeper mit roten
Ärmelhaltern, dem unvermeidlichen Walroßbart mit sorgfältig gezwirbelten
Spitzen und einem schwarzen Toupet mit schnurgeradem Mittelscheitel betreut
wurde. Neben der Bar stand ein quadratischer weißer Tisch mit weißer
Damastdecke, auf dem sich ein kunstvoll gearbeiteter Tafelaufsatz mit einem aus
Eis geformten Schwan befand. Hier hätte man eigentlich Teller und Schüsseln mit
Speisen erwartet, doch weit und breit war nichts Eßbares zu sehen, was Max
ziemlich überraschte.
Er war offenbar nicht der einzige, dem
diese Entdeckung Sorgen bereitete, denn er hörte hinter sich einen Mann
flüstern: »Mein Gott, wollen die uns hier etwa verhungern lassen?«
»Sei doch nicht so ungeduldig, Lieber«,
bemerkte dazu eine Frau, höchstwahrscheinlich seine Gattin. »Du weißt doch, daß
Hester immer alles sehr stilvoll herrichtet. Ich nehme an, der Party-Service
hat sich etwas verspätet.«
»Party-Service? Warum denn nicht ihr
eigenes Personal?«
»Um eine Riesengesellschaft wie die
unsere in einem fahrenden Zug zu bedienen? Liebling, Hester ist viel zu klug,
um diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Oh fein, noch mehr Champagner!«
An dem Tisch neben der Bar war ein
Weinkellner erschienen, stilvoll gekleidet mit weißem Jacket, weißen
Handschuhen und einer schweren silbernen Kette, an der ein silberner
Korkenzieher hing. Er hatte gerade damit begonnen, überaus gekonnt eine Magnumflasche
zu entkorken. Max trat auf ihn zu, um ein Glas für Marcia Whet zu holen, und
warf einen langen, nachdenklichen Blick auf die silberne Kette, während er
darauf wartete, daß der Mann den Schampus einschenkte.
Der Sommelier beachtete weder Max noch
sonst jemanden, sondern füllte würdevoll schweigend die Gläser, bis die Flasche
leer war. Dann öffnete er eine weitere Magnumflasche, die er dem eisgefüllten
Silberkübel auf der Bar entnommen hatte. Er überließ die Flasche dem Barkeeper
und verschwand.
In Windeseile war er wieder zurück,
diesmal trug er ein großes silbernes Tablett. Er machte sich kurz an dem
Tafelaufsatz zu schaffen und trat dann einen Schritt zurück, damit die Gäste,
die dicht um die Bar gedrängt standen, das Ergebnis seiner Arbeit bewundern
konnten. Die oberen Teile des Aufsatzes waren jetzt mit Kristallschalen voll
kleingehackter Zwiebeln, gekochtem, durch ein Sieb gestrichenem Eigelb und
Locken von süßer Butter bedeckt; auf den unteren gab es silberne Körbchen mit
dunklem Brot und knusprigem Melba-Toast.
»Jetzt präsentiert er den Kaviar«,
flüsterte Marcia Whet Max über ihr Champagnerglas zu. »Die Tolbathys machen um
den Kaviar immer besonders viel Aufhebens. Tom importiert ihn nämlich selbst,
müssen Sie wissen.«
»Davon hatte ich keine Ahnung. Was
importiert er denn sonst noch?«
» Escargots, kandierte Maronen und dergleichen. ›Toms
Feinkost aus aller Welt‹. Tom und sein Bruder Wouter, sollte ich eigentlich
sagen, aber, ganz entre nous, Tom erledigt die meiste Arbeit, seit ihr
Vater nicht mehr lebt. Ich hoffe doch sehr, daß dieser Mensch sich ein wenig
beeilt. Ich bin einfach verrückt nach Kaviar!«
Doch der Mann mit der silbernen Kette
ließ sich Zeit, begutachtete umständlich die Konservenbüchse, um mögliche
Mängel festzustellen, drückte dann die Spitze des mechanischen Dosenöffners in
das Metall und drehte umständlich, bis sich der Deckel schließlich abnehmen
ließ. Er hielt die geöffnete Dose hoch, begutachtete sie ein weiteres Mal
sorgfältig und löffelte schließlich mit einem Perlmuttlöffel vorsichtig den
Inhalt in eine funkelnde Kristallschale.
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