Kabeljau und Kaviar
Ernest gehalten hatte. Max blickte Tolbathy hilflos an.
»Am besten, du läßt ihn jetzt in Ruhe,
Quent«, entgegnete Tom zum Glück. »Er ist noch ganz benommen. Ich vermute, er
hat ein Reh auf den Gleisen gesehen, zu abrupt gebremst und sich dabei den Kopf
gestoßen. Wir hatten in diesem Jahr schon häufiger Probleme mit Rehen. Ich
hoffe nur, die Lok ist nicht beschädigt. Sorg du bitte dafür, daß niemand hier
reinkommt! Ich möchte, daß Wouter sich ein wenig ausruht.«
Durward sagte: »Selbstverständlich« und
verschwand wieder. Tolbathy bediente den Starthebel. Sofort setzte sich die Lok
in Bewegung. Sie fuhren etwa zehn Meter weit, wurden immer langsamer und
stoppten wieder.
»Was ist denn los?« fragte Max.
»Nichts, Gott sei Dank. Ich wollte nur
die Bremsen überprüfen, bevor ich schneller werde. Es hätte ja auch wirklich
ein Reh sein können, wissen Sie.« Tolbathys Stimme klang beinahe flehend. »Wir
hätten im Schnee nach Spuren suchen sollen.«
»Hätten Sie die nicht sowieso bemerkt,
als Sie eben nach draußen geblickt haben, um unsere Position festzustellen?«
Tolbathy blieb eine Antwort schuldig
und setzte die Lokomotive wieder in Bewegung. Max entschied, daß es an der Zeit
war, ihm die Wahrheit zu sagen.
»Hören Sie, Tom, ich glaube, es ist
besser, wenn ich Ihnen sage, warum ich überhaupt hier bin. Eigentlich bin ich
gar nicht Jem Kellings Neffe. Ich bin mit seiner Nichte Sarah verheiratet. Mein
Name ist Max Bittersohn, und ich bin von Beruf Privatdetektiv. Ich bin heute
abend uneingeladen auf Ihrer Party erschienen, weil Jems angeblicher Unfall in
Wirklichkeit wahrscheinlich ein sorgfältig geplanter Versuch war, ihn zu
ermorden oder wenigstens ernsthaft zu verletzen. Der Person, die ihm die Falle
gestellt hat, war es völlig gleichgültig, ob Jem den Anschlag überleben würde
oder nicht. Und die einzige Erklärung, die ich dafür finden kann, ist, daß
jemand um jeden Preis verhindern wollte, daß Jem heute abend hier im Zug
erscheinen würde.«
»Aber warum? Was kann denn Jems
Wegbleiben mit dem — Tod von Wouter zu tun haben?«
»Wahrscheinlich eine ganze Menge. Auf
Anhieb fallen mir schon zwei Gründe ein, warum Jem hier möglicherweise
unerwünscht war. Erstens hat er die ungewöhnliche Begabung, selbst flüchtige
Bekannte sofort wiederzuerkennen.«
»Stimmt, das kann er tatsächlich. Bloß
sind wir nicht nur flüchtige Bekannte. Wir sind alle alte Freunde.«
»Glauben Sie das im Ernst? Wie steht es
denn mit dem Barkeeper oder den Serviererinnen? Und da wir schon einmal dabei
sind, wie steht es mit mir? Sie haben mich sofort akzeptiert, nur weil ich mit
Ihrer Freundin Marcia Whet gekommen bin und Ihnen als Jem Kellings Neffe
vorgestellt wurde. In Wirklichkeit hat mich Marcia heute abend zum ersten Mal
gesehen, und sie war über mein Erscheinen nicht einmal vorher informiert. Ich
bin einfach in einem Taxi vorgefahren, habe ihr erzählt, daß Jem mich geschickt
hat, um sie zu der Party zu begleiten, und sie hat es mir sofort geglaubt, weil
sie es glauben wollte. Sehen Sie jetzt, wie einfach es ist, sich uneingeladen
auf eine solche Party zu schmuggeln?«
»Aber meine Frau und ich haben doch
jeden einzeln begrüßt.«
»Sind Sie sich da so sicher? Es gab ein
ziemliches Gedränge, als alle gleichzeitig den Bus verließen, um möglichst
schnell in den Zug zu steigen, denn draußen war es bitterkalt. Ihnen blieb gar
nichts anderes übrig, als sich einigen Gästen intensiver zu widmen als anderen.
Nehmen Sie nur Mr. Wripp. Sie haben ihm die Stufen hochgeholfen, und Ihre Frau
hat viel Wirbel um ihn gemacht, was bei so alten Menschen nur natürlich ist.
Wenn sich jemand vorbeigedrängt hätte, während Sie sich um Wripp kümmerten,
wären Sie viel zu beschäftigt gewesen, diesem Jemand die Hand zu schütteln.
Wenn die Person Ihnen unbekannt erschienen wäre, hätten Sie das bestimmt der
Verkleidung zugeschrieben — falls Sie überhaupt einen Gedanken darauf
verschwendet hätten.«
»Ich vermute, so hätte es sich durchaus
abspielen können«, gab Tom Tolbathy zu. »Aber ich erinnere mich nicht daran.«
»Genau das meine ich ja. Sie hätten es
überhaupt nicht bemerkt. Aber Jeremy Kelling wäre es bestimmt nicht entgangen.
Außerdem hätte Jem todsicher seine eigenen Amtsinsignien entdeckt oder wie zum
Teufel Sie diese Kabeljaukette nennen, die er bei Ihrem Treffen vorgestern
verloren hat.«
»Die Große Kette? Wie kommen Sie denn
jetzt darauf?«
»Weil der Mann, der den Kaviar
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