Kabeljau und Kaviar
gesagt.«
»Tatsächlich?« Jem war mit einem Mal
wieder guter Dinge. »Und wer zum Beispiel?«
»Zum Beispiel deine Freundin Marcia
Whet. Sie behauptet, du hättest die unglaubliche Fähigkeit, jeden Menschen
sofort zu identifizieren, auch wenn du ihn nur flüchtig kennst. Und du könntest
jede Verkleidung sofort durchschauen.«
»Da hat Marcia vollkommen recht. Ich
kann jeden auf eine Meile Entfernung erkennen. Das ist einfach eine Begabung.
Genau wie Mozart, weißt du. Der konnte auch Cosifan tutte mit der einen
Hand niederschreiben, während er sich mit der anderen eine neue Lage Martinis
mixte.«
»Ich bin nur nicht sicher, ob Mozart
Martinis getrunken hat«, gab Max zu bedenken.
»Ist doch völlig egal, oder? Irgend
etwas hat er todsicher getrunken. Oder kennst du etwa ein Genie, das
Antialkoholiker ist?«
»Meine Erfahrungen mit Genies sind sehr
begrenzt«, gestand Max. »Du bist jedenfalls der Meinung, daß dein besonderes
Genie unter deinen Freunden allgemein bekannt ist?«
»Und ob, sie machen sich sogar einen
Spaß daraus, mich dauernd irgendwie auf die Probe zu stellen. Bisher habe ich
mich noch nie geirrt.«
»Wäre das denn nicht Grund genug, dich
von der Party fernzuhalten? Der Mensch, der die Stufen eingewachst hat, hat
sich offenbar keinen Deut darum geschert, ob du dir nur das Bein oder gleich
das Genick brichst. Er wollte dich unbedingt für eine Weile oder auch für immer
außer Gefecht setzen. Wenn er es getan hat, damit du die Große Kette nicht
erkennen solltest, und außer mir ist sie offenbar wirklich keinem aufgefallen,
erscheint mir seine Methode allerdings mehr als drastisch. Daher gehe ich
zunächst davon aus, daß die Kette nicht so wichtig war und daß seine kleine
Vorstellung keineswegs ein Scherz, sondern ein sorgfältig geplanter Massenmordversuch
war. Kannst du mir folgen?«
»Ich bin dir sogar um Längen voraus. Du
kannst auf mich zählen, mein Junge. Aber du darfst nicht vergessen, daß es noch
eine ganze Zeit dauern kann, bis ich in der Lage sein werde, auch nur einen
Schritt ohne diesen verdammten Vogelkäfig hier zu tun.« Jem warf einen
grimmigen Blick auf die Gehhilfe aus Aluminium, die in der Ecke neben seinem
Bett stand. »Und auch nicht ohne irgendeine meckernde Ziege am Hals. Versuch
mal, den angeblichen Sommelier zu beschreiben, ja?«
»Er war etwa ein Meter fünfundsiebzig
bis ein Meter achtzig groß, wenn man mögliche Abweichungen durch Einlagen oder
Absätze mitberücksichtigt. Durchschnittliche Erscheinung, relativ helle
Gesichtsfarbe, denn ich wage zu bezweifeln, daß er sich in der Eile auch noch
schminken konnte. Zwischen fünfundfünfzig und fünfundsechzig Jahre alt,
möglicherweise älter, aber nicht irgendwie gebeugt oder sonderlich runzlig im
Gesicht. Helle blaue Augen, keine Brille. Graublondes Haar, mit ziemlicher
Sicherheit eine Perücke. Lange, dazu passende Koteletten, die zweifellos auch
unecht waren. Kein Schnauzbart, seinen Mund hatte er möglicherweise durch
falsche Zähne, die nicht richtig paßten, verändert. Wir können demnach
vermuten, daß er glattrasiert ist, wenigstens teilweise kahlköpfig und ein
Gebiß trägt — «
»Pah! Das nennst du eine Beschreibung?
Was hat er denn angehabt?«
»Einen gewöhnlichen Smoking, relativ
abgetragen, mit Satinaufschlägen und Satinstreifen am Hosenbein. Ganz
gewöhnliche Kragen- und Manschettenknöpfe aus Perlmutt. Und er trug
Handschuhe.«
»Warum zum Teufel hat er denn
Handschuhe getragen? Wie sahen sie aus?«
»Weiß, wie die von Sarahs Butler. Damit
niemand seine Hände sehen konnte, weil sie ihn vielleicht verraten hätten. Oder
weil er keine Fingerabdrücke hinterlassen wollte. Oder weil er glaubte, daß sie
zur Rolle gehörten. Keine Ahnung. Such dir das Passende aus.«
»So ein gerissener Hund. Vielleicht war’s
Dork. Er hat schon seit ewigen Zeiten einen Niednagel am linken Zeigefinger.
Ich würde Dorks Niednagel jederzeit erkennen.«
»Weiß er das?«
»Nehme ich an. Aber es gehört sich
nicht, über den Niednagel eines Menschen zu sprechen. Das habe ich in Fessenden gelernt. Bevor sie mich
rausgeworfen haben, selbstverständlich. Hatte er Haare in den Nasenlöchern? Waren
sie gekräuselt, oder standen sie einfach gerade ab?«
»Das habe ich beim besten Willen nicht
sehen können«, gestand Max. »Das Licht im Zug war ziemlich schummerig.«
»Hm. Das Ganze ist schwieriger, als ich
gedacht habe. Verdammt, Junge, hast du denn keine Augen im Kopf?«
»Jem, wie viele Glieder hat
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