Kabeljau und Kaviar
lamentiert ständig über den Verfall der
Bahnhofskultur.«
»Aber er würde doch nicht etwa
stinkwütend reagieren und sich rächen wollen, falls Tom und Wouter seine
Ratschläge nicht befolgten und beispielsweise statt Rosen oder weiß der Himmel
was Tulpen gepflanzt hätten?«
»Woher zum Henker soll ich das wissen,
Max? Ich würde es allerdings für ziemlich unwahrscheinlich halten. Aber ich
finde es ebenso unwahrscheinlich, daß jemand meine Treppe mit Wachs
einschmiert, um mein Ableben zu beschleunigen, und du siehst ja selbst, was
passiert ist. Jetzt liege ich hier wie ein gefällter Riese, mit einem
Pingpongball aus Stahl im Hintern. Und der arme Wouter versucht verzweifelt, Fair
Harvard auf seiner nagelneuen Harfe zu spielen, mit einem schräg sitzenden
Heiligenschein über dem Kopf und den Flügeln verkehrt herum auf dem Rücken. Und
ich fürchte, ich kann nicht mal mit der Großen Kette um den Hals an seiner
Beerdigung teilnehmen, wie es mein Amt verlangt.«
Jem war nahe daran, in Tränen
auszubrechen. Max lenkte ihn ab, indem er ihn auf das Gesicht neben Dork
aufmerksam machte. »Und wer ist dieser Kerl hier? Der war auch im Zug.«
»Ed Ashbroom? Gütiger Herrgott, stand
da nicht eben in der Zeitung, daß Ed tot ist?«
»Nicht er, seine Frau.«
»Ach ja?« Jeremy Kelling setzte die
geheimnisvollste Miene auf, die sein trügerisch unschuldiges Gesicht ihm
erlaubte. »Das ist ja hochinteressant.«
»Wieso?«
»Max, du kannst wirklich nicht
erwarten, daß ich mich dazu äußere. Wer einen Kumpel in die Pfanne haut, ist
ein gemeiner Schuft.«
»Mit anderen Worten, Edward Ashbroom
befand sich auf Abwegen.«
»Das hast du gesagt. Nicht ich.«
»Hat die Frau verlangt, daß er sie
heiratet?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?
Ich schleiche ja schließlich nicht herum und spähe durch Schlüssellöcher.«
»Mein Gott, Jem! Jetzt reicht es aber
langsam! Das ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, mit deinen Skrupeln zu
kokettieren. Wie ernst ist diese Affäre denn nun wirklich?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich weiß bloß,
daß Ed und seine Frau seit Jahren in einer Art Waffenstillstand leben, und man
munkelt, daß Ed sich anderswo Trost sucht. Verschiedene Anderswos, nehme ich
an, aber im allgemeinen nie mehrere gleichzeitig. Ed ist nicht der Typ, der
leichtfertig Kopf und Kragen riskiert.«
»War eine Scheidung im Gespräch?«
»Soweit ich weiß, noch nie.«
»Warum nicht?«
»Aus finanziellen Erwägungen, vermute
ich. Darauf läuft es doch letzten Endes fast immer hinaus, oder?«
»Und wem von beiden gehört der größere
Batzen?«
»Wahrscheinlich handelt es sich um
gemeinsame Vermögenswerte. Es gab zwar keine Familienverflechtungen wie bei den
Dorks, aber die Großväter von Ed und Edith waren Geschäftspartner. Sie hatten
ihre Finanzen derart phantastisch miteinander verwoben, daß ihre jeweiligen
Söhne es einfacher fanden, so weiterzumachen wie ihre Väter. Das machte die
Sache natürlich nur noch schlimmer. Als schließlich Ed und Edith an der Reihe
waren, beschlossen sie, daß es besser wäre zu heiraten, anstatt das ganze Chaos
zu entwirren. Beide taten es höchst ungern und machten jeweils den anderen
dafür verantwortlich, daß sie einander nicht ausstehen konnten.«
»Jetzt kann Ed also das gesamte Geld
allein einstecken.«
»Eine ziemlich unfreundliche
Formulierung, aber ich denke, daß es darauf hinausläuft.«
»Hat Ashbroom irgendeine andere
Einnahmequelle — außer seinem Erbe?«
»Sei bitte nicht vulgär. Edward
Ashbroom arbeitet nicht und spinnet nicht. Doch er betrachtet die Lilien auf
dem Felde. Ed ist nämlich auch Gärtner, genau wie Dork.«
»Warum nennst du eigentlich Ashbroom Ed
und Dork Dork?«
»Weil Dorks Vorname zufällig Donald
lautet.«
»Mein Gott!«
»Das konnten seine Eltern damals
natürlich nicht ahnen«, meinte Jem entschuldigend. »Aber es ist wirklich ein
schweres Kreuz. Dork ist sich dessen schmerzhaft bewußt. Ich habe gehört, daß
seine Söhne ihren Kindern nicht einmal erlauben, Plastikenten im Badezimmer zu
haben, aus Angst, daß ihr Großvater sie deshalb enterben könnte.«
»Ein harter Brocken, wie?«
»Er ist dafür bekannt, daß er sehr
unangenehm werden kann, wenn man ihn provoziert. Aber wer zum Henker kann das
nicht?«
Jem versuchte erneut, sein Gewicht zu
verlagern, belastete jedoch mit einer falschen Bewegung seine Hüfte und ließ
seiner Wut über den Schmerz freien Lauf.
»Möchtest du vielleicht, daß ich dir
das
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