Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Rechenzentren freudig beim Schopf ergreifen, um unsere Aufmerksamkeit bewusst von ihren tatsächlichen Gebäuden abzulenken – sei es aus Konkurrenzdenken, Verlegenheit ob ihres ökologischen Fußabdrucks oder Sicherheitserwägungen. Was mich frustriert, ist, dass diese angebliche Unüberschaubarkeit heimtückisch als Vorteil der Cloud ausgegeben wird, und zwar mit einem herablassenden Säuseln à la ›Lassen Sie nur, wir erledigen das schon für Sie‹, einem Plädoyer für den ignoranten Nutzer, das mich unangenehm an Schlachthäuser erinnert. Unsere Daten sind immer irgendwo , meist an zwei verschiedenen Orten. Und da sie schließlich uns gehören, bleibe ich dabei, dass wir darüber Bescheid wissen sollten, wo sie sind, wie sie dort hingekommen sind und was dort passiert. Für mich ist das ein elementarer Grundsatz unserer heutigen Internetnutzung: Wenn wir einen so wesentlichen Teil unseres Selbst großen Konzernen anvertrauen, dann sollten diese uns im Gegenzug anvertrauen, wo sie das alles speichern und wie es dort aussieht.
Als guter Staatsdiener hatte Nolan Young, der Stadtdirektor von The Dalles, nichts dagegen, mir sein Rechenzentrum zu zeigen. Sobald die Glasfaserschleife von The Dalles fertiggestellt war, räumte Young ohne zu zögern einen kleinen Raum im Keller des Rathauses frei, damit Kunden dort einen Serverschrank mit ihrem Equipment abstellen und sich mit anderen vernetzen konnten – eine Art »Mini-Ashburn« am Ufer des Columbia River. Natürlich wollte ich es anschauen; es hörte sich nach einem hübschen kleinen Stückchen Internet an. »Es sind nur blinkende Kästen, nichts weiter, aber wenn Sie wollen …«, sagte Young, und holte von seiner Assistentin den Schlüssel. Gegenüber von Nolans Büro befand sich der Gerichtssaal von The Dalles. Wir liefen an einem missmutigen Teenager und seiner Mutter vorbei, die vor der Tür warteten, gingen die große Treppe im Zentrum des Rathauses hinunter, zum Haupteingang hinaus und dann um das Gebäude herum zu einem kleinen Seiteneingang, der zum Keller führte. Wir traten in einen mit Linoleum ausgelegten und von Neonlampen erhellten Vorraum. Dann öffnete Young eine Stahltür, und mir schlugen das Dröhnen der Lüfter und der altvertraute Geruch von Netzwerkequipment entgegen. Das Rechenzentrum von The Dalles mochte aussehen wie ein besserer Abstellraum, aber für meine Augen war es ein Internetknoten reinsten Wassers: nichts als ein paar Router, die im Dunkeln miteinander verbunden waren. Young erklärte fröhlich den Weg, den die Daten hier nahmen: »Die Kunden kommen hier rein, docken an unseren Glasfaserkabeln an, vernetzen sich miteinander und was sie sonst noch alles machen, und springen dann wieder auf unsere Glasfaserkabel auf, nach Big Eddy und sonst wohin. Von den technischen Details habe ich keine Ahnung. Ich weiß nur, dass alles an einem Punkt zusammenkommt und dann wieder in alle Himmelsrichtungen verteilt wird.« Das hier war einer der kleinsten Räume, die eventuell als Rechenzentrum durchgehen könnten – im Schatten eines der größten der Welt. Aber in seiner handgestrickten Schlichtheit war er eine anschauliche Bestätigung der Annahme, dass das Internet immer irgendwo ist.
Mit den Leuten von der Presseabteilung im »Googleplex« – der Firmenzentrale von Design LLC im Silicon Valley – hatte ich für den Nachmittag einen Besuch in ihrem gigantischen Rechenzentrum vereinbart, doch Young meinte, ich solle mir davon lieber nicht zu viel versprechen. »Ich kann Ihnen mehr oder weniger garantieren, dass Sie maximal bis in die Kantine kommen«, sagte er. Wir verabschiedeten uns, und ich vergewisserte mich, dass Young meine E-Mail-Adresse hatte. »Ja, habe ich. Wir sind ja jetzt am Netz! Ich klinke mich einfach in die Glasfaserkabel ein, und schon bin ich bei Ihnen.«
Vom Rathaus aus war ich mit dem Wagen innerhalb von fünf Minuten am Stadtrand. Ich überquerte den Highway und kam in ein Industriegebiet am Ufer des Columbia River, kurz vor der Stelle, wo der Fluss in die Schlucht eintritt. Ich sah das unmittelbar neben dem Highway liegende riesige Rechenzentrum schon von weitem. Mit seinen hoch aufragenden Scheinwerfern, den in großem Abstand zueinander errichteten beigen Gebäuden und dem hohen Sicherheitszaun sah es aus wie ein Gefängnis. Riesige Strommasten zogen sich vom Firmengelände zum Fuß der Berge. Deren mittlere Lagen waren noch mit Schnee überzuckert, die Gipfel nebelverhüllt. An der Ecke befand sich ein
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