Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Tierheim, gegenüber ein Betonwerk. Ungefähr alle einhundert Meter kam ich an einem weißen Pfosten mit dem orangefarbenen Warnhinweis »Glasfaser-Erdkabel – Q- LIFE « vorbei. Ich passierte ein Sackgassenschild und betätigte vor einem Doppeltor die Klingel an der Sprechanlage. Das Tor öffnete sich, und ich parkte vor einem Sicherheitsgebäude von der Größe eines Einfamilienhauses. An einem zweiten Zaun war ein Schild angebracht, auf dem in Fraktur »Voldemort Industries« geschrieben stand – eine Anspielung auf den Harry Potter -Schurken, der Zauberlehrlingen als »Der, dessen Name nicht genannt werden darf« bekannt ist. Der einzige Hinweis auf den wahren Eigentümer dieses Grundstücks war ein Picknicktisch mit fest angebrachten Stühlen, die rot, blau, grün und gelb lackiert waren, in jenen Grundfarben, die uns aus dem allgegenwärtigen Google-Logo vertraut sind.
Als ich Kontakt zu Googles PR -Abteilung aufnahm, war mir von Anfang an bewusst, dass mein Ansinnen, eines der Rechenzentren von innen zu sehen, wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Schließlich ist das Unternehmen für seine Geheimniskrämerei um seine Einrichtungen bekannt. Doch als ich betonte, dass mein Interesse nicht den Zahlen galt (die ändern sich ohnehin rasend schnell), sondern dem Ort – The Dalles und seinem Charakter –, stimmte Google einem Besuch zu. Dass das Unternehmen in The Dalles ein Rechenzentrum betrieb, war schon länger kein Geheimnis mehr. Auf dem Schild am Eingang stand zwar immer noch »Voldemort Industries«, aber mittlerweile war die Firma Mitglied in der örtlichen Handelskammer, war auf Veranstaltungen der Gemeinde präsent, stellte Schulen Computer zur Verfügung, hatte außerhalb des hohen Sicherheitszauns einen Garten angelegt, und plante im Stadtzentrum ein W- LAN -Netzwerk einzurichten. Zugegeben, vorangegangen waren all dem mehrere Jahre schlechter Presse, in denen Googles Rechenzentrum als nur schlecht versteckte, Rauch ausstoßende Fabrik dargestellt wurde – ein Bild, das so gar nicht zu den blütenweißen Seiten, den sympathischen Google-Doodles und dem blitzschnellen Zugang zu Informationen passte, die wir normalerweise mit Google assoziieren. Firmenvertreter hatten wortreich davon gesprochen, ein neues Kapitel aufschlagen zu wollen, hatten einige statistische Daten zu ihren auf der ganzen Welt verstreuten Rechenzentren veröffentlicht und sogar einen kurzen Videofilm online gestellt. Vom Ansatz, man müsse die eigenen Rechenzentren möglichst gut verstecken, schien man sich verabschiedet zu haben. Umso mehr überraschte mich die Farce, die ich in The Dalles erlebte.
Im Sicherheitsgebäude saßen zwei Wachleute vor einer Reihe von Monitoren. Sie trugen blaue Poloshirts, bei denen ins erste »o« von »Google« ein Sheriffstern gestickt war. Drei »Googler« von anderen Standorten waren vor mir hereingekommen und warteten auf ihren Sicherheitscheck. Dazu mussten sie ihre Netzhaut von einer Maschine abtasten lassen, die aussah wie ein münzbetriebenes Fernglas.
»Mitarbeiternummer?«, fragte der Wachmann, als die drei nacheinander zu ihm an den Schalter kamen.
»Treten Sie vor an die Maschine.«
Dann übernahm der Scanner das Gespräch, eine roboterhafte Frauenstimme, wie ein Raumschiff in einem Science-Fiction-Film. »Schauen Sie in den Spiegel. Bitte treten Sie näher.« Klick. »Augenscan abgeschlossen. Vielen Dank.« Die Googler mussten alle kichern. Dann gab der Wachmann ihnen eine Warnung mit auf den Weg: Vergessen Sie nicht, sich jedes Mal scannen zu lassen, wenn Sie das Rechenzentrum verlassen oder betreten. Wenn der Computer nämlich denkt, Sie wären noch im Serverbereich, lässt er Sie nicht wieder rein.
Mir würde das nicht passieren können, denn wie Young bereits geahnt hatte, sollte ich nicht nur keinen einzigen Server zu Gesicht bekommen, ich sollte mit Ausnahme der Kantine überhaupt kein Gebäude von innen sehen. So langsam dämmerte mir, dass ich nach The Dalles gekommen war, um den Parkplatz zu besichtigen. Bei Google lautete die erste Regel für die Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Rechenzentren: Rechenzentren betritt man nicht.
Mich nahm ein kleines Begrüßungskomitee in Empfang, bestehend aus Josh Betts, dem stellvertretenden Standortleiter, Katy Bowman, einer Assistentin der Standortleitung, die maßgeblich für die neue Strategie in der Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war, und einer eigens aus Portland angereisten Medienbeauftragten, meiner Aufpasserin. Die
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