Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Charakterisierung, die seinen Ruf als Computerfreak bekräftigt und zugleich relativiert. Mit seinen grau melierten, kurz geschnittenen Haaren und der windschnittigen Sonnenbrille umgab ihn die lässige Aura eines entspannten Surfers. Er wirkte wie die Internetfreak-Version des Fernsehmoderators Anderson Cooper. » ET «, wie ihn die Internetgemeinde nennt, arbeitet für Equinix, einen weltweit agierenden Betreiber von Rechenzentren.
Adelson war derjenige, der ihn einstellte. Adelson ist der Gründer von Equinix, der aus der vagen Geschäftsidee von 1998 ein milliardenschweres börsennotiertes Unternehmen machte, bevor er es 2005 verließ. Er verkörperte den archetypischen Bewohner des Silicon Valley: eine Unternehmerpersönlichkeit mit der Gabe, nicht nur Zukunftsvisionen zu entwickeln, sondern auch andere davon zu überzeugen. Er galt nach wie vor als Wunderknabe, dabei waren es bloß noch wenige Wochen bis zu seinem vierzigsten Geburtstag, und erst vor wenigen Monaten hatte er seinen letzten Job als Vorstandsvorsitzender bei Digg aufgekündigt, einem Webdienst, über den Nutzer ihre Meinung zu einem Online-Artikel, einem Blogeintrag oder dem Bild einer sprechenden Katze kundtun können. Es hieß, Adelson und Digg hätten sich im Streit getrennt, aber er wirkte ganz entspannt. Er trug Jeans und ein lose darüber hängendes, dunkles Freizeithemd, die Ponyfransen, sein Markenzeichen, hingen ihm ins kantige Gesicht wie einem Teenager. Er hatte die Auszeit nach Digg genutzt, um Gitarrenunterricht zu nehmen, in ein 3-Millionen-Dollar-Haus umzuziehen, viel Zeit mit seinen drei Kindern zu verbringen und sich in aller Ruhe Gedanken über die Zukunft zu machen – sprich: über dem 3. Akt seiner bislang äußerst erfolgreichen Silicon-Valley-Karriere zu brüten. Mich interessierte mehr der erste Akt: wie er dabei half, das MAE -East-Problem zu lösen, und ganz nebenbei die Equinix-Flagge über den heute wichtigsten neuralgischen Punkten des Internets hisste.
»Sie wollen wirklich die ganze Geschichte hören?«, fragte Adelson und nahm bereits Fahrt auf, während er sich noch seinen gemischten Salat mit Hühnerbruststreifen schmecken ließ. »Es war eine spannende Zeit, eine wichtige Übergangsphase für das Internet.« Auf dem Höhepunkt des Dotcom-Booms ging alles sehr schnell. Ende 1996 arbeitete Adelson bei Netcom, einem der ersten kommerziellen Internetbetreiber im Silicon Valley. Anders als die Unternehmen mit Sitz in Virginia, die sich auf Großkunden konzentrierten, lebte Netcom hauptsächlich von »Computerfreaks auf Entzug«, die gerade erst von den Informatikfakultäten ausgespuckt worden waren und unbedingt weiter ihrer »Internetsucht« frönen wollten. Anfangs hatte Netcom seine Nutzer über das akademische Backbone verbunden, auch wenn das ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der »angemessenen Nutzung« war. Dieses Hintertürchen zum Internet war schön und gut, um die Bedürfnisse einer Handvoll Programmierer zu befriedigen; doch als es so richtig losging, musste eine andere Lösung her. Deshalb leaste Netcom eine sündteure Datenleitung vom Firmensitz in der Bay Area bis nach Tysons Corner, um sich mit den anderen Netzwerken am Internetknoten MAE -East zu drängeln. Was er dort vorfand, entsetzte Adelson. »Das Geklüngel war unglaublich. Wenn man nicht gerade eine Telekommunikationsfirma war und die Glasfaserleitungen kontrollierte, hatte man ganz schlechte Karten. Immer wieder hieß es ›Wir haben keine Kapazitäten frei‹. Aber man wusste nie, ob nicht doch ein Interessenkonflikt dahintersteckte« – sprich: ob sie das Geschäft lieber selbst machen wollten.
Wenn das Internet weiter wachsen sollte, musste es von gebührenpflichtigen Verbindungen, dem Einfluss der Netzbetreiber und den überlasteten Switches befreit werden, deren Rolle die National Science Foundation mit der Schaffung der Internetzugangspunkte unabsichtlich festgeschrieben hatte. Netzwerke mussten sich so reibungslos wie möglich miteinander verbinden können. »Wir posteten damals: ›Wir wollen ein freies Internet! Es ist ungerecht, dass die Internetknoten im Besitz von Telefongesellschaften sind!‹«, erinnert sich Adelson an die aufgebrachte Diskussion, die in den Rundmails und Internetforen der Netzgemeinde ausgetragen wurde. Denn wie offen war das Internet wirklich, wenn ein einziges Unternehmen den Zugang kontrollierte?
Adelson, damals gerade mal sechsundzwanzig, hatte sich bereits als Netzwerker der anderen Art
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