Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
einzelne E-Mail – war eher so, als wollte man die Wassermoleküle zählen. Jedes einzelne dieser Glasfaserkabel stand für mehr als 10 Gigabit Datenverkehr pro Sekunde – genug, um 10 000 Familienfotos pro Sekunde zu übertragen. An einem großen Router waren bis zu 160 solcher Kabel gleichzeitig angeschlossen, und im ganzen Gebäude standen Hunderte dieser Router. Hier durch die schummrig beleuchteten Gänge zu laufen war so, als kämpfte man sich durch einen Billiardendschungel, eine unfassbar große Menge an Informationen.
Doch für Adelson hatte es einmal eine Zeit gegeben, als alles hier noch ganz intim war. Auf Schritt und Tritt fiel ihm irgendeine Geschichte ein. »Wisst ihr noch, wie wir damals Australien abgeschaltet haben?«, fragte er aufgeregt den kleinen Besichtigungstrupp und blieb vor einem Käfig stehen, der nicht ganz so vollgestopft war wie die anderen. Der australische Internetprovider – »Ozzienet oder so« – habe zwar einen Router hier installiert gehabt, aber die Rechnungen nicht bezahlt. Adelson erinnert sich, dass ihn an jenem Abend, an dem sie schließlich den Stecker gezogen hatten, jemand zu Hause anrief. »Meine Frau sagte so was wie: ›Da ist wer am Telefon, der klingt ziemlich sauer, anscheinend ist das Internet in Australien ausgefallen.‹ Und ich so: ›Ach wirklich? Gib mal her.‹«
Ein anderer Käfig hatte einst »Danni’s Hard Drive« beherbergt, eine bekannte Porno-Website der ersten Stunde, das virtuelle Zuhause von Danni Ashe, die im Guinness Buch der Rekorde als die »am häufigsten heruntergeladene Frau« geführt worden war (eine Kategorie, die es inzwischen nicht mehr gibt). 26 Man erzählt sich, dass Danni einmal hier im Keller in flagranti mit ihrer gleichnamigen Festplatte überrascht wurde, als sie gerade splitterfasernackt für Aufnahmen für das »Bild der Woche« posierte. Die Veteranen nickten bei dieser Geschichte, doch sollte ich genau dieselbe Anekdote noch des Öfteren in anderen Internetgebäuden zu hören bekommen. Als ich schließlich Ashe und ihre damalige Netztechnikerin, Anne Petrie, ausfindig machen konnte, erfuhr ich, dass die Geschichte sich nicht in Palo Alto abgespielt hat, sondern im MAE -West, der Cousine des MAE -East im Silicon Valley. »Ich bin die Frau, die früher unter dem Namen Danni Ashe bekannt war«, schrieb sie mir. »Leider kann ich mich an diesen Tag nicht mehr so genau erinnern, aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie bei den beiden Technikern, die damals für mich arbeiteten, vielleicht mehr Glück haben.« Und tatsächlich, Petrie wusste es noch. Sie war bereits seit sechzehn Stunden damit beschäftigt gewesen, zwei neue SBI Origin Server zu installieren, damals der neueste Stand der Technik, als Ashe und ihr Ehemann vorbeigeschaut hatten. »Immer wenn Danni im Fernsehen auftrat, brach unweigerlich die ganze Technik zusammen, denn die Server wurden förmlich mit Anfragen überschüttet«, berichtet Petrie. Bei diesem Anlass waren die Fotoaufnahmen entstanden.
Nach und nach drangen wir tiefer in das Gebäude und weiter in die Vergangenheit vor. Adelson blieb vor einem Käfig stehen, der etwas größer war als die anderen, und bat die Jungs von der Technik: »Dürfen wir da mal rein? Ich rühr auch bestimmt nichts an. Aber ich muss da unbedingt rein!« Der Raum hatte die Größe eines kleinen Büros und befand sich in einer Ecke des Gebäudes, so dass er zwei richtige Wände anstelle des typischen Stahlgeflechts hatte. Er war mit vorsintflutlich wirkenden Geräten mit kleinen stählernen Kippschaltern vollgestellt, und es gab auch noch ein altes schwarzes Headset.
»Genau hier habe ich eine der wichtigsten Lügen meines Lebens erzählt«, verkündete Adelson mit gespieltem Pathos. Zwar war der PAIX von Anfang an »anbieterneutral«, doch in der Anfangszeit war das keine Kunst, weil die Netzbetreiber ihn gar nicht nutzten. Es war wie in der ersten Woche in einer neuen Wohnung, solange man noch keinen Telefonanschluss hat. Es gab keine Verbindung. Eine der größten Herausforderungen bestand für Adelson darin, die miteinander konkurrierenden Glasfasernetzwerke davon zu überzeugen, im Gebäude einen Netzwerkknoten einzurichten. Doch anfangs wollten die Betreiber davon nichts wissen. Sie behielten ihr Equipment in ihren eigenen Räumen, und man musste gefälligst zu ihnen kommen und ein Vermögen für die dafür nötige »Zugangsleitung« hinblättern. (Aus dieser Not heraus war MAE -East geboren worden: Der Mutterkonzern
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