Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
und dem PA IX statt (genauer gesagt hauptsächlich in diesen beiden). Auf der sozialen Ebene spiegelt sich diese enge Zusammenarbeit im Verhältnis der beiden Peering-Koordinatorinnen wider, Ren Provo von Comcast und Sylvie LaPerrière von Google – zwei der wenigen Frauen auf der Tagung. Ren Provo (mit dem offiziellen Titel »Principal Analyst Interconnect Relations«) eilte in ihrem Comcast-Poloshirt von einem zum anderen, erkundigte sich nach den Familien der anderen NANOG er und rief Kollegen am anderen Ende des Zimmers Witze zu. Ihr Ehemann Joe ist ebenfalls Netzwerktechniker und auch er spielt in der ehrenamtlichen NANOG -Bürokratie eine wichtige Rolle, so dass die Provos das inoffizielle Power-Paar der Tagung waren; viele NANOG er denken gern an ihr Hochzeitswochenende zurück. Sylvie LaPerrière ist eine charmante Frankokanadierin, auf deren Visitenkarte »Programme Manager« steht. Sie scheint allseits sehr beliebt zu sein, wobei die Zuneigung angesichts ihres Einflusses mit einer gehörigen Portion Respekt vermengt ist. Jeder, der ein Netzwerk betreibt, ist auf eine gute Verbindung zu Google angewiesen, und sei es nur, damit sich die Kunden nicht über wackelige YouTube-Videos beschweren. LaPerrière macht es den Betreibern leicht. Im Wesentlichen besteht ihre Aufgabe darin, alle Anfragen mit Ja zu beantworten, weil auch Google ein Interesse an guten Verbindungen hat. Google verfolgte eine »offene« Peering-Strategie; im Macho-Jargon der NANOG er ist LaPerrière daher eine »Peering-Schlampe« (und sie wäre es auch dann, wenn sie ein Mann wäre). Insofern überrascht es kaum, dass LaPerrière und Provo eng befreundet sind. Mehrmals sah ich sie in den Gängen des Hilton die Köpfe zusammenstecken. Ihr gutes Verhältnis ist eine Brücke über ein Minenfeld voller komplexer technischer und finanzieller Fragen.
»Man merkt einfach, ob ein Freund die Wahrheit sagt«, erklärte mir Sylvie LaPerrière, beeilte sich aber hinzuzufügen, dass die Freundschaft Grenzen habe: »Langfristig ist man nur dann erfolgreich, wenn man wirklich die Interessen der eigenen Firma vertritt und deutlich macht, dass man für die Linie der Firma steht und nicht für die ›Sylvie-Linie‹. In der Hinsicht spielt Freundschaft für mich überhaupt keine Rolle. Sie macht nur den Umgang angenehmer.« Aber ihre Beteuerungen verdeutlichen letztlich vor allem eines: auch eine Verbindung zwischen Netzwerken ist eine Beziehung.
Und dabei kommt es auch mal zum Streit. Ab und zu greift ein wichtiges Netzwerk zu einem drastischen Mittel: »De-Peering« – es zieht einfach den Stecker und weigert sich, den Traffic einer Konkurrenzfirma weiterzuleiten, meist nachdem es vergeblich versucht hat, den Konkurrenten dazu zu bewegen, für diese Dienstleistung zu bezahlen. Ein berühmter Fall von Depeering ereignete sich 2008, als Sprint drei Tage lang den Datenaustausch mit Cogent einstellte. Laut Renesys, einem Unternehmen, das die Datenströme im Internet analysiert und sich mit den firmenpolitischen und wirtschaftlichen Fragen des Peerings befasst, hatte das zur Folge, dass 3,3 Prozent der Internetadressen weltweit vom Rest des Internets abgeschnitten waren. Ein Netzwerk, das ausschließlich über Sprint mit dem Internet verbunden war, konnte Netzwerke, die sich ausschließlich auf den Betreiber Cogent verließen, nicht mehr erreichen – und umgekehrt. Zu den bekannteren Sprint-Kunden, die deshalb auf dem Trockenen saßen, gehörten das US -Justizministerium, der Bundesstaat Massachusetts und Northrop Grumman; unter den Cogent-Kunden, die das gleiche Schicksal ereilte, waren die NASA , IN G Canada und die Gerichte des Bundesstaats New York. Zwischen den beiden Lagern konnten keine E-Mails zugestellt werden, Websites waren nicht erreichbar. Das Netz war in Stücke gerissen.
Für Renesys – ein Unternehmen, das davon lebt, die Anzahl der Internetadressen zu bestimmen, die ein Netzwerk anbindet, und Kaffeesatzleserei bezüglich der Qualität zu betreiben – ist ein solches Depeering ein spannender Augenblick, so als würde in einem Nachtclub plötzlich das Licht eingeschaltet. Mit einem Mal werden die Beziehungen deutlich. Nun ist die Topographie des Internets an sich ja kein Geheimnis, sonst würde es gar nicht funktionieren – woher sollten die Bits sonst wissen, wo sie hin flitzen sollen? Aber die finanziellen Modalitäten, die die Grundlage einer ganz bestimmte Verbindung sind, liegen im Verborgenen, so wie die Adresse einer Firma
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