Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Internetknoten durchschnittlicher Größe und den Giganten der Branche. »Orte wie der AMS - IX oder der LINX sind für Netzwerktechniker das reine Paradies«, erklärte Jim Cowie von Renesys. »Es gibt dort Hunderte von Unternehmen, die geradezu darum betteln, sich mit ihnen und ihren Netzwerken zu beschäftigen.« Für einen NANOG er ist das eine unwiderstehliche Versuchung. Die großen Internetknoten werden immer größer, und es sieht ganz danach aus, dass diese Entwicklung weitergeht und sie entsprechend weiter wachsen. Meine Aufgabe wurde dadurch ein gutes Stück einfacher: Die Karte des Internets stand, zumindest fürs Erste, fest. Wenn ich die wichtigsten Kästen im Herzen des Internets sehen wollte, dann musste ich nach Frankfurt, Amsterdam und London. Blieb die Frage, wie unterschiedlich sie sein würden. Und ob sie überhaupt Besucher empfingen.
An jenem Abend in Austin gab Equinix in einem Musikclub mit gigantischer Dachterrasse eine Party. Auf die Tanzfläche war ein riesiges »E« projiziert, und als Hommage an die berühmte Musikszene der Stadt verteilte eine junge Dame am Eingang Equinix-Schlüsselanhänger in Gitarrenform. Die ganze Veranstaltung war nicht übertrieben extravagant, aber es war die größte Party am letzten Abend, und es gab so viel Freibier, dass keiner der NANOG er sie ausließ. Aus Sicht von Equinix war sie eine höchst sinnvolle Investition. Jeder der etwa einhundert Netzwerkadministratoren, die hier von einem Kollegen zum andern gingen und sich zuprosteten, repräsentierte ein Netzwerk, und höchstwahrscheinlich waren sie allesamt Kunden von Equinix – viele von ihnen sogar mehrfach. Und das Beste war: Wenn sich auf dieser Party zwei Netzwerktechniker kennenlernten und später beschlossen, eine Peering-Verbindung einzurichten, dann wäre das Ergebnis ein »Cross Connect« von einem Serverkäfig zum anderen – für Equinix ein dauerhaftes Umsatzplus. Da waren ein paar Schlüsselanhänger das Mindeste, was Equinix tun konnte.
Ich verfolgte an jenem Abend meine eigenen Ziele. Zwar hatte ich (abgesehen von dem staubigen Knäuel hinter meiner Couch) kein Netzwerk, aber ich hatte ein Bild all dieser Netzwerke im Kopf, eine riesige imaginäre Karte, die im Lauf meiner Recherche allmählich konkrete Formen angenommen hatte. Die Präsentation des AMS - IX hatte in der Peering-Runde eine junge deutsche Technikerin mit rotem Haarschopf übernommen. Ihr Chef, ein freundlicher, etwas rundlicher Holländer namens Job Witteman, hatte am Rand gesessen und schweigend zugehört. So in seinem Stuhl zurückgelehnt, hatte er ein wenig an den Paten erinnert. Mit ihm wollte ich ins Gespräch kommen. Die Leute in der NANOG sind intelligente Menschen mit starken Meinungen, die sich nicht immer diplomatisch ausdrücken. In der Fragerunde nach einem Vortrag geht es fast immer hoch her, manchmal wird es auch laut. (Der selbstbewusste, kämpferische Ton der Peering-Runde dient dann dazu, etwas Dampf abzulassen.) Witteman vermittelte den Eindruck, über solchen Auseinandersetzungen zu stehen wie ein Elder Statesman. Nach einem Techniker sah er jedenfalls nicht aus.
»Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Router angefasst!«, brüllte er mir auf meine Frage hin über die Musik hinweg ins Ohr. »Ich weiß, wie man einen Computer einschaltet, das ist aber auch schon alles. Ich weiß, was ein Router macht und wie er funktioniert – aber verlangen Sie nicht von mir, dass ich einen anfasse. Dafür gibt es andere Leute.« Er war der Chef eines der größten Internetknoten, aber er hatte es stets vermieden, sich die technischen Details des Netzwerkbetriebs anzueignen. Seine Strategie ging auf, denn dadurch hatte er eine Sorge weniger – und der AMS - IX war für seine technische Kompetenz bekannt. Witteman gab mir einen Überblick über seine Geschichte. Wie viele andere Internetknoten war er Mitte der neunziger Jahre gegründet worden, als Ableger der ersten akademischen Computernetzwerke. Doch anders als anderswo kam es hier früh zu einer Professionalisierung. Anstatt den technischen Support Freiwilligen zu überlassen, ging man am AMS - IX die Aufgabe von Anfang an mit der Präzision und Zielstrebigkeit an, für die die Niederländer bekannt sind. »Der Sinn und Zweck davon, dass wir damals ein Unternehmen aufgebaut haben, war ja gerade, das Ganze professionell aufzuziehen«, so Witteman. »Wir wollten uns nicht jeden Tag die Frage stellen: ›Wer ist heute dran?‹«
Mit demselben niederländischen
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