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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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auf gerade mal eine Handvoll Städte, zwischen denen es eine eindeutige Hierarchie gab. War das die Geographie des Internets? Frankfurt und Amsterdam waren kaum weiter voneinander entfernt als Boston und New York; Witteman und Orlowski standen an der Spitze von Unternehmen, die sich in punkto Professionalität in nichts nachstanden. Sie machten sich beide die Mühe, Tausende Kilometer zurückzulegen und persönlich hierher zu kommen, um Techniker davon zu überzeugen, dass sie ihre Peering-Verbindungen bei ihnen einrichten sollten. Nach welchen Kriterien entschied sich ein Netzwerktechniker für den einen und gegen den anderen? Würde ich zwischen beiden überhaupt einen Unterschied sehen können?
    Diese großen Internetknoten erschienen mir als die Essenz des Internets: Verbindungspunkte, die Anlass für immer neue Verbindungen waren, wie ein Wirbelsturm, der über dem Meer an Kraft gewinnt. Ich wollte in meiner Ansicht bestätigt werden, dass durch das Internet Orte zwar weniger relevant wurden, dass seine eigenen Orte aber nichtsdestotrotz wichtig waren – und mit ihnen, vielleicht, auch die ganze sinnlich erfahrbare Welt um mich herum. Ich war zu diesem NANOG -Treffen gefahren, um die Menschen kennenzulernen, die jeder für sich ein einzelnes Netzwerk und alle zusammen das Internet am Laufen hielten. Aber mein eigentliches Ziel war, die Orte, wo sie vernetzt sind, mit eigenen Augen zu sehen und damit dem Verständnis der realen Geographie meiner virtuellen Existenz einen Schritt näher zu kommen. Die Teile des Internets, über die Witteman und Orlowski wachten, waren zutiefst an ihrem jeweiligen Standort verwurzelt – sie waren so unterschiedlich wie die beiden Nationalcharaktere. Wo führten all die Kabel hin? Was gab es dort zu sehen?
    Ich erzählte Witteman und Orlowski von meiner Reise und stellte am Ende die, wie ich hoffte, naheliegende Frage: Konnte ich mal vorbeikommen und mich umschauen? »Wir haben keine Geheimnisse«, sagte Witteman und gab, um das Ganze zu illustrieren, den Blick auf die Innentaschen seines Jacketts frei. »Wann immer Sie in Amsterdam sind.«
    Orlowski schaute auf uns beide hinunter und nickte zustimmend. Auch in Frankfurt war ich willkommen. Wir stießen mit unseren Equinix-Bieren an.
    * * *
    An jenem spätwinterlichen Sonntag, an dem ich in Deutschland ankam, hatte der Himmel die Farbe der stahlgrauen Bürotürme angenommen, die ihm im Bankenviertel am Main entgegenstrebten. Den Nachmittag verbrachte ich, noch mit der Zeitumstellung kämpfend, mit der Erkundung der ruhigen Frankfurter Innenstadt. Im Dom besichtigte ich die Seitenkapelle, in der sich die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches versammelten, um den König zu wählen. Von hier aus wurde das Wahlergebnis im ganzen Land verbreitet. Ganz in der Nähe befand sich eine Sehenswürdigkeit jüngeren Datums, die große, blau-gelbe Euro-Skulptur, ein beliebtes Hintergrundmotiv für Berichte über die Europäische Zentralbank. Sowohl die Wahlkapelle als auch der Euro waren Hinweise auf den besonderen Geist dieses Ortes: Frankfurt war seit jeher Handelsstadt und Kommunikationsknotenpunkt, eine ausgesprochen selbstgefällige Stadt.
    Am Abend traf ich mich mit einem befreundeten Frankfurter Architekten in einem hundert Jahre alten Restaurant. Während wir Tafelspitz mit Grüner Soße aßen und mit Pils hinunterspülten, drängte ich ihn, mir dabei zu helfen, diese Stadt und ihre nicht unbedeutende Rolle für das Internet besser zu verstehen. Er antwortete jedoch meist ausweichend. Frankfurt ist keine Stadt, die zu romantischen Aphorismen einlädt. Mit stimmungsvollen Gedichten und Liebeserklärungen aus heimischer Produktion ist sie nicht gerade reich gesegnet. Sie dient selten als Filmkulisse. Zu ihren berühmtesten Söhnen zählt neben Goethe (der Frankfurt hasste) die große jüdisch-deutsche Bankiersdynastie der Rothschilds (deren Erfolg praktischerweise darauf beruhte, strategische Dependancen auf der ganzen Welt einzurichten, die über große Entfernungen hinweg per Brieftraube miteinander kommunizierten). Einer der wichtigsten Beiträge der Stadt zur Kultur des 20. Jahrhunderts war die selbst nach den Maßstäben des Bauhaus ungewöhnlich stark auf Zweckmäßigkeit ausgelegte »Frankfurter Küche« (ein Exemplar davon steht heute im Museum of Modern Art). Bekannt ist Frankfurt in erster Linie für die (schon seit dem 12. Jahrhundert) hier stattfindenden Messen wie die Buchmesse oder die Internationale

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