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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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Pragmatismus machte er sich auch daran, einen Handelsplatz zu schaffen. Als der AMS - IX sich von den Informatiklehrstühlen emanzipierte, zog ein stark kaufmännisch – und doch gemeinschaftlich – orientierter Geist ein. »Uns Niederländern steckt das irgendwie in den Genen. Marktplätze und Börsen sind unsere Stärke – ob es um Tulpenzwiebeln oder sonst was geht. Wir müssen gar nicht die Käufer oder Verkäufer sein, aber wir organisieren gern den Handelsplatz«, sagte Witteman. Einen sehr offenen Handelsplatz. Für den AMS - IX gilt wie für die Straßen von Amsterdam, dass jeder tun und lassen kann, was er will – solange er niemanden belästigt. »Das Prinzip bei uns war von Anfang an: ›Es ist Ihre Plattform, Sie bezahlen schließlich dafür. Die Größe Ihres Ports entscheidet darüber, wie viel Traffic Sie über uns abwickeln können, aber die Inhalte gehen uns nichts an, da halten wir uns raus.‹« Im Grunde drückte sich in dieser Einstellung perfekt die Offenheit des Internets aus: eine untereinander vernetzte Gruppe autonomer Netzwerke, die sich innerhalb eines klar strukturierten Umfelds frei entfalten konnten. Es erinnerte mich an die irgendwie kalifornisch geprägten Ideen, auf denen das Internet gegründet war: leben und leben lassen; »Sei konservativ in dem, was du verschickst, aber tolerant bei dem, was du empfängst.« Bis zu einem gewissen Grad galt das nicht nur für den AMS - IX , sondern für alle Internetknoten.
    Diese Offenheit birgt Risiken. Es bestehen kaum Zweifel, dass die großen Geißeln des Internets – allen voran die Kinderpornographie – auch über den AMS - IX und andere Internetknoten weiterverbreitet werden. Doch Witteman beharrte drauf, dass es nicht seine Aufgabe sei, das zu verhindern, genauso wenig, wie die Post für den Inhalt eines Briefes verantwortlich sei. Als die niederländische Polizei bei ihm anklopfte und die Leitungen anzapfen wollte, erklärte er behutsam, dass das leider nicht möglich sei. Aber die Polizei könne natürlich Kunde bei ihnen werden und Peering-Verbindungen zu den Internetprovidern einrichten, die sie überwachen müsse. »Jetzt zahlen sie für ihren Port und alle sind zufrieden«, sagte Witteman, hob die Augenbrauen und nahm einen Schluck Bier.
    Während wir uns unterhielten, gesellte sich ein hochgewachsener Mann mit gepflegtem Bart und stacheligen Haaren zu uns und bearbeitete entschlossen sein Smartphone, bis sich eine Gesprächspause ergab. Dann hielt er Witteman den kleinen Bildschirm unter die Nase und schüttelte mit gespielter Überraschung den Kopf: » Achthundert «, sagte er. Aus Wittemans weit aufgerissenen Augen sprachen gemischte Gefühle. Der hochgewachsene Mann war Frank Orlowski, Wittemans Gegenstück vom DE - CIX in Frankfurt. Er meinte 800 Gigabit pro Sekunde, der maximale Datendurchsatz seines Internetknotens an jenem Nachmittag – neuer Rekord. Mehr als in Amsterdam. Zehnmal so viel wie in Toronto.
    Die Rivalität zwischen den großen Internetknoten hatte eindeutig auch eine persönliche Seite. Orlowski und Witteman drehten gemeinsam ihre Runden – manchmal als Verschworene, oftmals als freundschaftliche Rivalen. Sie hatten beide den Atlantik überquert, um hier in Texas dabei zu sein, und nur wenige Wochen zuvor hatten sich ihre Wege bei einem ähnlichen Treffen in Europa gekreuzt. Angesichts der Wachstumsraten des DE-CIX war Witteman zweifellos neidisch, aber er war auch stolz und erstaunt, wie groß ihr gemeinsames Baby – sprich das Internet an sich und die Internetknoten in seinem Zentrum – geworden war. Während ich den beiden zuhörte, war ich fasziniert, wie überschaubar die Infrastruktur des Internets plötzlich wirkte; wie sich beim Zuprosten mit Bierflaschen in einer Bar in Texas die Suchanfragen und Nachrichten einer ganzen Hemisphäre erschließen konnten. Plötzlich wurden die sozialen Bande sichtbar, die die physikalischen Netze zusammenhielten, nicht nur zwischen Witteman und Orlowski, sondern zwischen allen Besuchern der Party. Nicht, dass ich überrascht gewesen wäre, dass das Internet von Zauberern am Laufen gehalten wurde – irgendjemand musste es ja am Laufen halten. Das Erstaunliche war für mich, wie wenige es waren.
    Aber wie stand es um die Orte, die physikalischen Komponenten, den »festen Grund«? War das Internet tatsächlich so stark zentralisiert, wie es während der Peering-Runde und an jenem Abend den Anschein machte? Beim NANO G -Treffen konzentrierten sich die Techniker

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