Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
stellen wollen. Benjamin spürte, dass dem stellvertretenden Betriebschef eine wenig zuvorkommende Meldung auf der Zunge lag; vermutlich, wie sich Franz in einer solch heiklen Situation erlauben konnte, Reißaus zu nehmen. Aber Georg verkniff sich seinen Kommentar, wie auch Benjamin stumm blieb. Nein, heute war definitiv alles anders.
„Kann ich mitkommen?“, fragte Andreas. „Ich würde am Berg gern ein paar Messungen zur Lawinengefahr vornehmen.“
Franz nickte knapp. „Kein Problem. Schon mal mit einem Motorschlitten gefahren?“
„Ja.“
„Perfekt. Dann machen wir uns fertig und brechen auf.“
*
Andreas war von sich selbst überrascht, einen solch spontanen Entschluss gefasst zu haben. Klar, gestern wollte er ins Gelände, um die Lawinengefahr besser beurteilen zu können. Da die Bergung aber ohnehin aus der Luft durchgeführt wurde und die Sicht weiterhin beschränkt war, hatte er von dieser Idee wieder Abstand genommen.
Nur jetzt … Jetzt war es, als wäre ihm der Sturmwind seines Traumgewitters durch die Gedanken gefegt. Er hatte das Gefühl, dass es gut wäre, mit auf den Berg zu fahren; nicht nur gut, sondern notwendig. Eine höchst seltsame Empfindung, eine Instinkthandlung, die ihm fremd war.
Vielleicht war der Grund aber auch sehr banal. Er konnte nicht von der Hand weisen, dass ihm die junge Journalistin gefiel. Er war von der Toilette gekommen, just als sie das Büro des Betriebsleiters verlassen hatte. Als sie ihm ihr zaghaftes Lächeln schenkte, war ein Quell von Wärme durch seinen Körper geströmt. Auch das war ungewöhnlich. Er war Frauen zwar grundsätzlich nicht abgeneigt, aber all seine bisherigen Bekanntschaften waren kurzlebige und rationale Begegnungen gewesen. Er hatte es nicht so mit Gefühlen. Manche würden sogar behaupten, er sei gefühlskalt.
Allein, seit zwei Tagen … Seine Träume wurden beständig intensiver, drängender. Seine Gedanken waren anders, irrationaler. Und seine Handlungen schienen … abartig.
Hoffentlich war er nicht krank. Das fehlte gerade noch.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 08:54 Uhr
„Nein, ich …“ Martins blaue Augen flackerten. „Ich kann das nicht.“
„Wieso nicht, verdammt“, fluchte Raphael, und Tränen der Verzweiflung sammelten sich in seinen Augenwinkeln. „Du bist ein Priester!“
„Ich …“ Martin brach ab. „Okay“, sagte er dann.
Ohne weiteres Zaudern wandte er sich Sonja zu, die von Krämpfen geschüttelt auf der Sitzbank lag. Speichel lief aus ihrem Mundwinkel.
„… will nicht …“, keuchte sie. „… will nicht sterben.“
Raphaels Herz zog sich zusammen.
„Willst du, Sonja Lichtenberger, den hier anwesenden Raphael Vogt vor Gottes Angesicht zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen, bis dass der Tod euch scheidet?“, fragte Martin. Seine Stimme war nicht länger ruhig und samtig weich. Sie wirkte unrund, gehetzt. Immer wieder geriet der Priester ins Stocken und verhaspelte sich.
„Ja“, presste Sonja hervor.
„Willst du ihn lieben und ehren, ihm die Treue halten alle Tage deines Lebens?“
„Ja.“
„Und willst du, Raphael Vogt, die hier anwesende Sonja Lichtenberger vor Gottes Angesicht zu deiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen, bis dass der Tod euch scheidet?“
„Ich will.“
Bitte, lieber Gott
, dachte Raphael voller Inbrunst.
Lass nicht zu, dass uns der Tod schon heute scheidet!
Hastig wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht.
„Willst du sie lieben und ehren, ihr die Treue halten, alle Tage deines Lebens?“
„Ja.“
„Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau.“
Zitternd kramte Raphael nach den Ringen und hob Sonjas Arm. Sie versuchte ein Lächeln, aber es gerann zur Grimasse. Nur unter höchster Konzentration gelang es Raphael, seine tobenden Gefühle zu unterdrücken und Sonja den Ring anzustecken.
Sie seufzte matt. Ein glückseliges Lächeln erschien auf ihren Zügen, verdrängte die unmenschliche Fratze, die sich auf ihrem Gesicht eingenistet hatte.
„Schön …“
Es war das einzige Wort, das Raphael verstand. Er presste die Lippen aufeinander, hielt ihren Arm, küsste sie auf die eisig kalte Wange.
„Mein Engel …“, flüsterte er.
Da spürte er eine Bewegung hinter sich und wandte den Kopf. Samantha hatte sich von ihrem Sitz erhoben und war hinter ihn getreten. Scheu blickte sie auf Sonja herab.
„Magst du einen Apfel?“
Seilbahn GmbH Kitzbühel, Eingangshalle
Sonntag, 7. Januar, 08:57 Uhr
„Wohin
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