Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
immer Benjamin und Samantha hinterherblickte, drehte den Kopf.
„Was meinst du?“, erkundigte er sich.
„Da ist so ein Brummen …“
„Ich höre es auch“, erwiderte Emma.
„Ich auch“, bestätigte Rüdiger. „Klingt fast wie eine …“
„Lawine!“, entfuhr es Matteo.
Sie erblickten eine unförmig weiße Masse, die sich mit einem Höllentempo den Hang hinabwälzte. Der Schnee wurde emporgewirbelt, sicherlich Dutzende Meter hoch. Die Scheiben der Kabine erzitterten. Sandra stieß einen leisen Schrei aus.
„Uns kann nichts geschehen“, beruhigte Matteo. „Die Lawine geht seitlich an der Seilbahnstütze vorbei, seht ihr?“
Das stimmte. Der Hauptast des Schneerutsches bahnte sich einige hundert Meter entfernt den Weg in Richtung eines Waldes, nur ein kleiner Teil bewegte sich in ihre Richtung. Aber auch der ebbte ab, bevor er die Seilbahnstütze erreichte.
„Meine Herrschaften? Es wird Zeit, dass wir ein paar Dinge klären.“
Das war Sebastians Stimme. Raphael wandte sich um.
Er blickte direkt in die Mündung einer schwarzen Faustfeuerwaffe.
Seilbahn GmbH Kitzbühel, Kantine
Sonntag, 7. Januar, 09:38 Uhr
Sonja kaute genüsslich an ihrem Tomatensandwich. Bernhard betrachtete sie mit einem milden Schmunzeln. Wie sie so vor ihm saß, wirkte alles vertraut. Als wären sie nicht Jahre getrennt gewesen, sondern nur wenige Stunden.
„Schmeckt’s?“, fragte er.
Sonja nickte eifrig und schluckte einen großen Bissen hinunter. „Sehr gut! Ich muss sagen, vor einer Stunde habe ich noch gedacht, ich werde nie wieder etwas essen.“
„So schlimm?“
„Ja, ich … bin kollabiert. Unterzuckerung.“
„Hattest du dein Notfall-Set nicht dabei?“
„Nein. Das liegt noch immer auf unserem Zimmer.“
„Unserem?“
„Ja. Ich bin mit meinem Freund in Kitzbühel. Falsch, meinem Ehemann.“
Bernhards Augen weiteten sich. Offensichtlich hatte sich seine Tochter mehr verändert, als er bisher wahrhaben wollte.
„Ich gehe wieder zum Krankenwagen“, sagte Anna rasch, die unruhig mit ihren Nägeln auf die Tischplatte trommelte. „Dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten.“
„Raphael, mein Mann, wird als Nächster vom Helikopter gebracht“, warf Sonja ein.
„Soll ich ihm etwas ausrichten?“
„Es genügt, wenn du ihm sagst, wo ich mich befinde. Den Kuss übernehme ich schon selbst.“
Schiregion Kitzbühel, Piste 55, nahe Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 09:39 Uhr
„Schneller!“, brüllte Stefanie.
Der Motor des Schneemobils heulte auf, als Andreas die Maschine über einen kleinen Hügel lenkte. Sie flogen dem Waldrand entgegen. Kaum fünfzig Meter trennten sie von den ersten knorrigen Stämmen.
Stefanie wandte den Kopf. Hinter ihnen war ein Gesicht erschienen. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie riesige, hell leuchtende Augen inmitten der Schneewalze zu erkennen; ein weit geöffnetes Maul, das ein hämisches Lachen ausstieß; bizarr verkrümmte Finger, die sich ihnen entgegenstreckten.
Die Lawine war fast heran. Das dumpfe Brausen übertönte alle anderen Geräusche.
Sie fegten an den ersten Bäumen vorbei.
Andreas musste die Geschwindigkeit ihres Gefährts drosseln, sonst wären sie unweigerlich gegen einen Baumstamm geprallt. Im Zickzack preschten sie durch den Nadelwald. Feine Schneekristalle stoben an ihnen vorbei. Eine Sturmböe erfasste Stefanie und hätte sie fast vom Motorschlitten geweht. Die Bäume bogen sich wie Getreideähren im Wind. Schlagartig sank die Sichtweite auf wenige Meter, als sie der feine Schneestaub erreichte.
„Festhalten!“, schrie Andreas, riss den Motorschlitten herum und hielt abrupt an.
Sie waren hinter einem großen Felsblock zum Stehen gekommen. Eine weitere Wolke aus Schnee fegte über sie hinweg, als hätte ein Riese einen Sack Mehl verschüttet. Augenblicke später flaute der Sturm ab; so rasch, wie er gekommen war. Stille senkte sich auf sie herab.
„Geschafft“, seufzte Andreas.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 09:40 Uhr
Also doch
, durchzuckte es Raphaels Gedanken.
Ich hatte recht. Sebastian war es, der das Thema Gift ins Spiel gebracht hat; das Gift, woran Henrik und Martin gestorben sind!
„Sebastian …“ Emmas Stimme war nur ein Flüstern.
Der Liftbedienstete grinste breit. „Tut nicht so überrascht. Es musste so kommen.“
Er deutete mit seiner Pistole auf die Breitseite der Kabine. „Darf ich die Damen und Herren bitten, sich dort drüben aufzustellen? Sandra und Michelle, ihr
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