Käfersterben
schlecht in der Nacht. Ab vier Uhr wanderte sie überwach durch die Wohnung. Tom rief nicht an. Schon um fünf zeigte sich die Junihelligkeit. Die Schatten draußen sahen aus wie mit einem scharfen Messer zurechtgeschnitten. Über den Himmel trieben gemächlich tiefe, graue Wolken. Katinka rollte sich auf dem Sofa zusammen und fiel in einen unruhigen, erschöpften Dämmerzustand.
Um halb acht am Sonntagmorgen verließ sie das Haus und radelte zur Polizeidirektion in die Schildstraße. Das Leben konnte manchmal auch gut zu ihr sein, stellte sie fest. Polizeimeisterin Sabine Kerschensteiner hatte Dienst.
Katinka erklärte ihr Problem. Sabine half ihr mit der Vermisstenanzeige, und obwohl Katinka kein Foto von Dani hatte, konnte sie eine brauchbare Beschreibung geben.
»Das geht sofort an alle Dienststellen. Machen Sie sich mal nicht zu viele Sorgen, Frau Palfy«, sagte Sabine Kerschensteiner. »Uttenreuther hat schon angerufen. Er meinte, die Kollegen sollten nochmal das Grundstück Ihrer Freundin absuchen.«
Katinka fühlte sich halbwegs beruhigt. Sie fuhr nach Hause, schrieb ihre Notizen von gestern ins Reine, rief alle 15 Minuten bei Tom an und quittierte das ›vorübergehend nicht erreichbar‹ der Maschinenstimme mit einem Achselzucken. Die Müdigkeit in ihren Knochen dämpfte den Zorn.
Nach einer Tasse starken Kaffees mit viel Milch griff sie sich das Blatt mit den Stichpunkten zu Dani. Sie beschloss, mit dem Kunstverein in Straßburg zu beginnen. Im Internet fand sie zwei Kunstvereine: einen städtischen und einen ›Verein junger Künstler‹. Gelobt sei das weltweite Netz, dachte sie, während der Drucker Namen und Telefonnummern der Vorstände ausspie. Die einzige erreichbare Kontaktperson war eine gewisse Gabrièle Haussmann von den jungen Künstlern. An der Art, wie sie sich meldete, hörte Katinka, dass sie eine Zigarette rauchte.
»Katinka Palfy. Ich rufe aus Deutschland an. Verstehen Sie Deutsch?« Katinka war sich unsicher, ob ihr verrostetes Französisch sie durch dieses Gespräch tragen würde.
»Na, hören Sie mal«, kam es mit starkem Elsässer Einschlag zurück. »Sind wir nicht alle polyglott?«
»Ich habe auf Umwegen erfahren, dass die Bildhauerin Daniela Zanini im Herbst bei Ihnen eine Ausstellung hat. Leider habe ich im Internet noch nichts darüber entdeckt. Können Sie mir nur ganz kurz etwas über das Konzept erzählen?«
Gabrièle Haussmann zögerte.
»Sie sind von der Presse, ja?«
Katinka suchte fieberhaft nach der Antwort, die Gabrièle Haussmanns Tor öffnen würde.
»Nicht direkt«, sagte sie. »Ich baue gerade in Eigenregie eine Künstlerwebseite auf. Sie soll im Herbst freigeschaltet werden. Unsere erste Reportage betrifft Daniela Zanini.«
»Na gut. Wir brauchen jede Publicity, die wir kriegen können. Immerhin ist es schon ein Erfolg für uns, die Künstlerin überhaupt gewonnen zu haben.« Gabrièle schien überzeugt. »Was möchten Sie wissen?«
Katinka fragte dies und das und hoffte, nicht als völlig dilettantisch aufzufliegen. Gute Übung für die Youngtimer-Geschichte, dachte sie. Dann fragte sie:
»Kann ich die Künstlerin zuvor für ein Interview erreichen?«
»Bedaure. Sie ist natürlich nicht in Straßburg. Sie hat sich zurückgezogen, um mit ihren Arbeiten weiterzukommen. Aber ich kann mir Ihre Nummer aufschreiben und Frau Zanini bei nächster Gelegenheit bitten, sich bei Ihnen zu melden.«
Katinka insistierte, doch Gabrièle weigerte sich, Danis Adresse zu nennen.
»Ein Postfach, eine Mobilnummer?«, versuchte sie es.
»Tut mir leid, Frau Palfy. Das widerspräche unserer Diskretion. Die müssen wir unseren Künstlern zusichern, denn sonst kommen die vor lauter Presse und Interviews und was weiß ich nicht zum Arbeiten.«
»Können Sie mir denn etwas über die Thematik der Ausstellung sagen?«
»Bedaure«, kam es zurück. »Frau Zanini möchte das alles erst im August bekanntgeben. Sie braucht noch ein bisschen Zeit, um das Motto zu schärfen, wie sie sagt. Zugegeben, ich hätte lieber schon jetzt einen aktuellen Bericht auf unserer Internetseite. Aber in dem Fall richte ich mich nach den Wünschen der Künstler.«
»Es hat etwas mit Mensch und Natur zu tun, oder?«
Gabrièle Haussmann schluckte.
»Sie haben sich ja schon sehr ausführlich informiert.«
Katinka hinterließ ihre Handynummer und bat, Dani sofort zu benachrichtigen, falls sie in Straßburg auftauchte oder sich telefonisch meldete. Schnell bedankte sie sich und legte
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