Käfersterben
Schließlich leben wir hier in einer Metropole.« Er betonte das ›Wir‹. »Ich habe gerade mit einem Kollegen telefoniert. Ich meine, wenn ich deine beruflichen Tätigkeiten schon unterstützen darf.«
Katinka verdrehte die Augen. Sie verstand den Seitenhieb durchaus, auch wenn sie es nicht zeigte.
»Und der kannte auch keinen von denen?«
»Nicht die Bohne.«
»Da ist eine Frau aus Österreich dabei, Petra Stein.«
»Null und nichts.«
Katinka seufzte.
»Dann sind das wohl alles noch unbekannte Nachwuchsleute.«
Ignaz Palfy gab ein Prusten von sich, das irgendwo zwischen Arroganz und Resignation stecken blieb.
»Du wolltest doch noch mehr über Booz wissen«, sagte er. »Lass es dir eine Warnung sein: Er ist schon einige Male wegen Körperverletzung angezeigt worden. Aber wie durch ein Wunder konnte er oder besser sein Anwalt das immer abschmettern. Nichts zu beweisen.«
»Körperverletzung im Zusammenhang mit seinen Kunstaktionen?«
»Manchmal ja, manchmal auch unabhängig davon. Hör zu, Kati …«
Sie musste lachen.
»Ich ahne es. Dir hängt ein Kunde in der anderen Leitung.«
»Ich habe gleich eine Besprechung. Eine ganz wichtige PR-Maßnahme für die Eröffnung eines Einkaufszentrums in Linz, das ich gebaut habe. Ich melde mich bei dir.«
Er legte auf.
Katinka fuhr mit dem Finger über die zehn Namen auf ihrer Liste. Seltsam, dachte sie. Wollen diese No-Names mit Booz zusammenarbeiten, um zu Ehr’ und Lorbeer zu kommen? Sie konnte sich keine andere Erklärung ausmalen. Doch Booz schien gar nicht die große Nummer zu sein, als die er sich selbst sah. Jedenfalls nicht, wenn sie ihrem Vater vertrauen konnte. Er mochte selbstgefällig sein und einem gewissen Geltungsbedürfnis frönen, aber er kannte sich tatsächlich gut in der Szene aus, und seine Voraussagen, welcher Künstler in der nächsten Zeit den großen Sprung auf die Bühne schaffen würde, trafen gewöhnlich zu. Wahrscheinlich war Ignaz Palfy in Wirklichkeit einer von denen, die die Stars erst zu Stars machten. Katinka nahm die Brille ab und putzte die Gläser mit dem Zipfel ihres T-Shirts.
Wieder fiel ihr die Vermisstenanzeige ein. Sie zögerte, doch dann beschloss sie, sich nicht bei der Polizei zu melden. Es würde nur unnötig Staub aufwirbeln. Sobald sie wusste, was wirklich Danis Problem war, konnte sie immer noch etwas in die Richtung unternehmen.
Katinka fuhr nach Hause und legte sich eine Weile hin. Später ging sie einkaufen und achtete darauf, ausreichend Obst und Vollkornprodukte in den Korb zu legen. Sie besorgte auch teures Futter für Vishnu und kaufte die aktuelle Ausgabe des Fränkischen Tags .
Die Spaghetti, die sie sich anschließend kochte, schmeckten ihr so gut wie lange nichts. Erst, als die dampfenden Nudeln, bestreut mit frisch geriebenem Parmesan und selbstgekochter Tomatensoße vor ihr standen und dufteten, bemerkte Katinka, wie hungrig sie war. Als Nachspeise kredenzte sie sich selbst zwei Pfirsiche. Doch als sie sich satt und einigermaßen zufrieden mit ihren Kochkünsten zurücklehnte, verflog der Genuss ihrer Mahlzeit sofort. Es macht keinen Spaß, alleine zu essen, dachte sie. Irgendwie schlich sich ein schaler Nachgeschmack ein. Sie war es nicht mehr gewöhnt, alleine zu leben. Seit sie zu Tom gezogen war, waren sie bis auf ganz wenige Unterbrechungen immer zusammengewesen.
Tom. Seine Reaktion war ihr egal, sie wollte nur seine Stimme hören.
Er meldete sich beim ersten Klingeln.
»Tom, ich bin’s. Wie geht’s?«
Es klang, als freute er sich über ihren Anruf.
»Die Situation ist unverändert dramatisch. Sie ist bei Bewusstsein. Und völlig traumatisiert von ihrer hilflosen Situation. Sie kann kein Wort sprechen, sich überhaupt nicht mitteilen. Mein Vater ist total auf dem Reifen. Ich werde sicher noch eine Weile in Berlin sein. Meinen Kunden habe ich schon Bescheid gegeben. Ich will zwar so schnell wie möglich wieder an die Arbeit, aber …«
»Hattest du nicht gesagt, du würdest eventuell diese Woche zurückkommen?«
Katinka bereute es sofort. Tom blieb gelassen, aber seine Stimme klang einige Nuancen kühler. Er wollte seinen Vater noch nicht alleine lassen. Sie suchten fieberhaft nach einem Platz in einer Rehaklinik, ohne auch nur ansatzweise eine Ahnung zu haben, wie sie all die vielen unterstützenden medizinischen Maßnahmen für seine Mutter bezahlen sollten, die die Krankenkasse nicht übernehmen würde.
»Sie kann unmöglich nach Hause zurück«, sagte Tom. »Es ist ein
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