Käfersterben
Jammer, mitanzusehen, wie sie sich quält.«
Er erkundigte sich, was in Bamberg los war. Er tat es aus Höflichkeit, Katinka spürte seine Aufmerksamkeit abdriften wie Treibholz. Sie erzählte nicht viel, nur dass Britta an einer neuen großen Story dran war.
»Na, dann ist ja alles wie immer«, sagte Tom. »Kaum was los, und wenn nicht wenigstens Britta Beerenstrauch aus der Lokalredaktion ordentlich Saft pressen würde, gäbe es nur noch Mohrrüben zu essen.«
»Komisch. So was Ähnliches habe ich heute auch schon gehört. Aber aus der Hauptstadt Österreichs.«
Sie verabschiedeten sich reserviert voneinander. Katinka fragte sich traurig, ob der Kerl am Telefon der Tom war, den sie kennen und lieben gelernt hatte. Jedenfalls war er ein Mann, der in einer Krise steckte, und vielleicht entschuldigte das seine Hybris und seine großstädtische Arroganz. Katinka fühlte sich elend und ärgerte sich gleichzeitig, dass sie sich elend fühlte. Es war ein Gefühl erbarmungswürdiger Leere.
Fast sieben. Sie hatte noch Zeit. Britta ging nicht ans Telefon. Wahrscheinlich sichtete sie die Materialien auf der gestohlenen Festplatte und betrank sich, um die Filme aus Yorks Produktion zu ertragen. Katinka fiel ein, dass sie immer noch nicht bei den Berliner Kunstfuzzis angerufen hatte, um nach Dani zu fragen. Sie probierte die Nummer. Als der Anrufbeantworter seinen Sermon abspielte, kauzte sie mit der Automatenstimme um die Wette. Natürlich hatte sie ein weiteres Mal die Geschäftszeiten missachtet. Gereizt fuhr sie sich durchs Haar. Es war gewachsen, die längsten Strähnen reichten schon über die Ohrläppchen. Es war ihr bisher nicht aufgefallen. Jetzt kontrollierte sie sich im Spiegel. Dicke dunkle Ringe umschatteten ihre Augen. Sie fühlte sich abgerissen, jämmerlich. Ein Schwall Selbstmitleid trug sie davon. Wenn sie sich hässlich fühlte, dann deshalb, weil niemand sich dafür interessierte, wie es ihr ging. Alle waren beschäftigt oder verschwunden oder nicht zuständig. Sie hatte Sehnsucht nach jemandem, der sie tröstete. Ihr ein paar nette Sachen sagte, und sei es aus Höflichkeit.
Katinka rief Hardo an. Erst, als er sich meldete, wurde ihr klar, was sie da tat. Sie wollte auflegen, aber er würde ohnehin wissen, dass sie es war.
»Ich … wollte mich nur noch mal absichern wegen Freitag«, druckste sie herum. »Ich …«
»Mein Laubfrosch gibt grünes Wetterlicht für Freitag«, sagte Hardo.
Im Hintergrund klirrte etwas. Katinkas Gesicht wurde heiß.
»Haben Sie Besuch?«
»Ja.«
Katinka stellte sich vor, wie eine langbeinige Schönheit im knappen Schlauchkleid und mit langen, blonden Locken dem Kommissar einen Cocktail servierte.
»Dann entschuldigen Sie. Ich wollte nicht stören.«
»Keine Ursache. Manfred Schröppel ist hier. Mein frühpensionierter Kollege, Sie kennen ihn doch noch.«
Eine Welle der Erleichterung schwappte über Ka-tinka hinweg. Sie schwitzte.
»Ja, natürlich«, sagte sie lachend und fand, dass es verlegen klang. Schröppel hatte ihr einmal in einer äußerst prekären Situation beigestanden. »Grüßen Sie ihn schön.«
»Mache ich. Er wünscht Ihnen einen schönen Abend.«
»Danke, werde ich haben«, sagte Katinka schnell und legte auf.
Ich glaube, ich spinne, dachte sie, und stellte das Telefon auf die Station zurück. Ich bin nicht mehr ganz dicht. Als sie daran dachte, womit sie sich an diesem Abend beschäftigen würde, bekam sie einen Lachanfall. Es war 19 Uhr 22, Dienstag, 15. Juni 2004.
12. Felsen zum Sterben
Sie brach um acht Uhr auf. Das Wetter wurde tatsächlich besser. Am Himmel waren nur noch vereinzelte Wolken zu sehen. Als sie aus der Stadt herauskam und über die Autobahn Richtung Lichtenfels fuhr, konnte sie erkennen, dass die Wolken wie ein Pfeil formiert nach Osten abzogen. Sie bog bei Breitengüßbach ab und fuhr über die Landstraße weiter.
Sie hatte viel Zeit. Von Bamberg zum Staffelberg würde sie etwa 30 Minuten brauchen. Sollte das Auto streiken, hatte sie also genug Vorlauf eingeplant. Noch war sie sich nicht im Klaren darüber, ob sie möglichst weit bis zum Plateau hinauffahren sollte. Ihre Karte gab keine genaue Auskunft über die Wege, aber sie wusste, dass eine Wirtschaft dort oben war und es insofern einen asphaltierten Weg für die Zulieferungen geben musste. Andererseits war es vielleicht sinnvoller, zu Fuß hinaufzusteigen und so unsichtbar werden zu können, wenn es sich als nötig erwies.
Katinka beschloss, sich intuitiv zu
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