Kälteeinbruch (German Edition)
nicht einmal der kann an zwei Orten gleichzeitig sein.»
«An zwei Orten gleichzeitig … Was soll das heißen?»
Unten auf der Straße tauchte ein grauer Passat auf und hielt vor dem Polizeirevier. «Komm, ich zeig’s dir.»
Torp kam ihnen im Flur entgegen. «Das wäre geschafft.»
Anton und Kval gingen Seite an Seite den Korridor entlang. Torp sah übernächtigt aus. Er gähnte. Schaute Anton aus zwei müden Augen an.
Anton blieb vor Torp stehen. Musterte sein Gesicht. Seine Wange war gelb und blau.
«Alle Achtung, das nenn ich einen Knutschfleck», bemerkte er grinsend.
Torp war zu müde, um zu lachen. «Bin gestern draußen bei der Hütte blöd gefallen. Schönen Gruß von Askheim … die haben gestern den Jackpot geknackt und Nils’ Dealer hochgenommen.»
Anton nickte desinteressiert. Er war schon auf dem Weg durch die Tür, folgte Kval. Torp schloss sich ihnen an.
Das Trio betrachtete ihn durch den Einwegspiegel, der das Vernehmungszimmer in der Mitte teilte. Nils Jahr war bleich. Die Haare klebten fettig an seinem Kopf. Um die Augen hatte er dunkle Schatten. Er sah sich nervös um. Schien Mühe damit zu haben, die Augen ruhig zu halten. Sein rechtes Bein wippte unter der Tischplatte auf und ab. Er trug noch immer denselben Anzug wie bei seiner Verhaftung.
«Ging’s gestern Abend darum, Anton», Kval blickte ihn an, «als du mit Torp reden wolltest?»
«Ja.»
«Und mir konntest du nicht verraten, dass du Torp aus dem Bett scheuchen und nach Oslo schicken wolltest, nur damit der da», Kval blinzelte in Richtung des Mannes auf der anderen Seite, «in aller Herrgottsfrühe hier ist?»
«Du wärst dagegen gewesen.»
«War gar nicht so einfach, ihn in Oslo aus dem Keller zu holen», warf Torp ein, «das sag ich euch.»
«Was soll das heißen?»
«Na ja, zuerst hab ich gesagt, dass ich ihn abholen würde. Ich hab seinen Namen genannt und alles, aber die meinten nur, dass der gar nicht bei ihnen sitze. Das Ganze hat sich geklärt, als Askheim kam, aber ich hatte fast den Eindruck, als ob der ü…»
«Steck dir ’nen Lolli ins Maul und halt die Klappe, Torp», schnitt Anton ihm das Wort ab. Er trat näher an das Fenster zum Vernehmungszimmer heran. «Seht ihr, wie fertig der ist?»
«Ja», erwiderte Torp. «Im Auto auf dem Weg hierher hat er kein Wort gesagt. Oder doch, er meinte, er hätte Bauchschmerzen, weil er nichts gegessen hat. Vielleicht sollte ich ihm was zu essen holen? Hab noch einen Proteinriegel im Schrank, den kann er haben.»
«Vergiss es», sagte Anton, ohne den Blick von dem gebrochenen Mann hinter der Scheibe zu nehmen. Nur wenig erinnerte noch an den selbstgefälligen Investor, der Anton und Torp in Aker Brygge auf eine
Line
Kokain eingeladen hatte. Jetzt war er genau wie alle anderen, die vor ihm dort gesessen hatten. Gebrochen, verwirrt und allein.
«Und nun?», wollte Kval wissen. «Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass er eigentlich gar nicht hier ist?»
«Bestimmt, weil er eigentlich gar nicht hier ist», antwortete Anton. «Jedenfalls nicht auf dem Papier.»
«Wie bitte?», bellte Kval. «Wurde seine Verhaftung in Oslo überhaupt zu Protokoll genommen?»
Anton zuckte mit den Schultern. «Wie das in Oslo gehandhabt wird, weiß ich nicht. Geh davon aus, dass die ihre Papiere in Ordnung haben. Alles andere wär doch merkwürdig?» Er grinste durchtrieben.
Kval schüttelte den Kopf. Er hatte längst begriffen, was hier lief.
«Und was jetzt? Willst du ihn dazu bringen, dass er was gesteht, was er nicht getan hat?»
«Reg dich ab, Kval. Ich will mich lediglich in aller Freundschaft mit ihm unterhalten.»
Anton ging zur Tür. Auf einem Tisch in der Ecke lagen eine braune Mappe und eine durchsichtige Plastiktüte mit Jahrs Habseligkeiten. Anton schnappte sich beides. Betrachtete die Armbanduhr, eine Audemars Piguet Royal Oak in Weißgold. Das Gehäuse war mit Diamanten besetzt. Mit Tüte und Mappe in der Hand verließ er den Raum. Schloss hinter sich die Tür. Öffnete drei Meter weiter im Korridor die Tür zu dem Teil des Zimmers, in dem Nils Jahr saß.
«Schön, Sie wiederzusehen, Nils», begrüßte Anton ihn munter. «Wie geht es Ihnen?»
Zwei rot unterlaufene Augen blickten zu ihm auf. Der Mund öffnete sich leicht, als wollte er etwas sagen.
«Nicht so richtig gut, was?» Anton zog den Stuhl, der gegenüber von Nils stand, zu sich heran. Die Gummiknöpfe unter den Stuhlbeinen quietschten auf dem Linoleum. Er setzte sich. Legte die durchsichtige
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