Kälteeinbruch (German Edition)
auf dem Tisch gesellten sich weitere. Anton beugte sich weiter vor und stützte sich auf die Ellbogen. Nils begann zu zittern.
«Reicht es Ihnen?» Anton blickte ihn von der Seite an. «Mittlerweile sind Sie so weit, dass Sie Ihre Uhr gegen eine Handvoll Valium eintauschen würden, stimmt’s?» Anton wartete.
Der andere sagte nichts. Zitterte nur und schluchzte vor sich hin.
«Wann kam dieser unersättliche Appetit auf Frauen, oder soll ich lieber sagen: auf verbotene Früchte? Sie sind doch ein Aufreißertyp. Kann mir kaum vorstellen, dass Sie Gewalt anwenden müssen, um zum Schuss zu kommen?» Er zeigte auf die Tüte. «Oder vielleicht doch, und zwar bei den Frauen, die sich nicht kaufen lassen? Wenn Nils Jahr sich nämlich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann wird es auch so gemacht. Richtig? Aber normalerweise gibt es doch kaum ein Problem, das sich nicht mit ein paar Scheinchen aus der Welt schaffen ließe, oder?»
Anton richtete sich wieder auf. Entfernte sich langsam von ihm, ging auf den Spiegel zu.
«Soll ich Ihnen mal verraten, was meine Vermutung ist, Nils? Hä? Ich vermute mal, dass Sie Viggo Holms Lieblingsschüler waren. Er war Mathelehrer, und Sie können gut mit Zahlen umgehen. Irgendjemand muss Ihnen das beigebracht haben. Das Fundament für ein solches Wissen wird ja bereits in der Schule gelegt. Hat es damit angefangen? Haben Sie als Jüngelchen ein wenig Nachhilfe von Holm bekommen? Und sich dann zu einer Gegenleistung verpflichtet gefühlt? Anfangs hab ich gestutzt, weil es mehrmals vorgekommen ist. Wieso wurde er nicht angezeigt, hab ich mich gefragt. Warum waren Sie mehr als einmal mit ihm allein? Kinderschänder drohen häufig damit, nahen Familienangehörigen ihrer Opfer etwas anzutun. Er hätte damit drohen können, dass er Ihre Mutter oder Ihren Vater umbringt, wenn Sie den Mund aufmachen.» Anton betrachtete sich im Spiegel, während er sprach. «Aber er hatte bei Ihnen kein Druckmittel, Sie waren ja ein Waisenkind. Wieso haben Sie ihn immer wieder gewähren lassen?» Er hob den Kopf und sah zur Decke. Dann senkte er den Blick und sagte: «Jetzt weiß ich, warum.»
Anton drehte sich um und musterte den am Boden zerstörten Mann am Tisch.
«Weil es Ihnen Spaß gemacht hat, Sie kleiner Lustmolch.» Zügig näherte er sich ihm. Beugte sich über den Tisch. «Sind Sie deshalb wiedergekommen? Sie wollten sich einen Nachschlag holen, was? Haben Sie ihn noch im Mund, Nils, den Geschmack von Viggo Holm?»
Die Tür zum Vernehmungszimmer wurde aufgerissen. Kval stürmte herein. Packte Anton am Arm und zerrte ihn nach draußen. Schlug die Tür hinter sich zu. Kam mit seinem Gesicht bis auf wenige Zentimeter an Anton heran.
«Was zum Teufel ist hier los?», zischte er.
Anton wich nach hinten aus, wurde jedoch nach einem knappen halben Meter von der Wand gebremst.
«Ich vernehme einen Mordverdächtigen.»
«Einen Mordverdächtigen? Du hast den Mord doch so gut wie gar nicht erwähnt.»
«Nein, ich musste ihn erst etwas weichkochen, mit Erfolg, wie du siehst. Jetzt sitzt er da und flennt.» Anton machte einen Schritt zur Seite. Er wollte zurück. «Ich geh jetzt wieder rein und frag ihn, wo er am Montagabend war, als seine Freundin aufgewacht ist und er nicht neben ihr lag.»
«So läuft das hier nicht, Anton. In Bryn mag das ja anders sein. Aber wir hier im Haus arbeiten so nicht. Ich hätte dich vielleicht, und ich betone
vielleicht
, gewähren lassen, wenn alles nach Vorschrift verlaufen wäre. Aber wie du selbst eingeräumt hast, ist er in Wirklichkeit nicht einmal hier. Wir verplempern nur wertvolle Zeit, während Bernandas Mielkos vermutlich versucht, außer Landes zu kommen, wenn er nicht ohnehin schon weg ist.»
Magnus Torp musste seinen Satz schon angefangen haben, bevor er die Tür aufriss, die vom Beobachtungszimmer in den Flur führte, denn das Einzige, was Anton aufschnappte, war: «… Krankenwagen!»
Torp rannte los. Kval drehte sich zu ihm um.
«Was ist los?»
«Ruft einen Krankenwagen!», wiederholte Torp und riss die Tür zum Vernehmungszimmer auf.
Kapitel 54
Anton saß auf einem Bett im Korridor der Notaufnahme in Fredrikstad und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Torp und Kval standen wenige Meter entfernt. Es war kurz nach acht. Seit die Krankenbahre mit Nils Jahr hereingerollt worden war, war eine Dreiviertelstunde vergangen.
Kval hatte seit ihrer Ankunft kein Wort mehr mit Anton gewechselt. Er hatte nur mit Torp gesprochen, der sich zum ersten Mal vor die
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