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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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hatte.
    Zielstrebig ging er auf die Tür zu. Auch ohne sich umzudrehen wusste er, dass sie ihm mit dem Blick folgte. Dafür brauchte er keine Bestätigung.
    Nils streckte die Hand aus. Berührte die Türklinke und drückte sie herunter.
    Bei seinem ersten Besuch hatte er sich am Empfang melden und sagen müssen, wen er sprechen wollte. Heute nickte er der Dame hinter dem Tresen kurz im Vorbeigehen zu, dann rannte er die Treppe hinauf zum Wartezimmer im ersten Stock, während er in Gedanken noch bei ihr war. Nicht bei der Irren draußen vor der Tür, die musste einen Schlag weghaben, wenn sie hierherkam. Jedenfalls war sie so krank, dass er ihren Anblick nicht ertrug. Aber die am Empfang war hübsch. Anfangs war er ganz hingerissen gewesen, dann hatte er mitbekommen, dass sie schon vergeben war. Karl Skarvik hatte es ihm erzählt.
    Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand: eine Minute vor halb fünf. Er zählte die Sekunden mit, während der Zeiger auf die Sechs zutickte. Dann ging die Tür auf.
    «Hallo», sagte Karl Skarvik und lächelte wie immer. «Kommen Sie herein.»
    Wortlos stand Nils auf und folgte ihm ins Sprechzimmer. Der Raum hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Als wären die Wände mit transparentem, flüssigem Xanor überzogen. Vielleicht lag es aber auch an Skarvik. Wenn Nils mit ihm im selben Raum saß, war seine Angst wie weggeblasen. Möglicherweise machten sich heute auch die fünf Milligramm Xanor bemerkbar, die er vor einer Stunde geschluckt hatte, aber auch wenn er nichts genommen hatte, war die Wirkung dieselbe.
    Die Ruhe, die Skarvik ausstrahlte, wurde durch die schummrige Beleuchtung und die schweren, dunklen Ledermöbel noch verstärkt. An der Wand gegenüber vom Fenster stand ein Sofa. Skarviks Schreibtisch musste ebenso alt sein wie das übrige Mobiliar, und die einzigen einigermaßen modernen Gegenstände im Raum waren der Fernseher und das Telefon. Mitten im Zimmer gab es zwei Ledersessel, die leicht schräg zueinander standen, damit man sich während des Gesprächs ansehen konnte. Er hatte genug zu dem Thema gelesen, um zu wissen, dass die Sessel nicht zufällig so platziert waren. Die Anordnung hatte angeblich eine beruhigende Wirkung, was anders wäre, wenn sie sich frontal gegenüberstünden. Nun, vielleicht war es tatsächlich so. Zwischen den beiden Sesseln stand ein viereckiger Glastisch, auf dem nie Fettflecken oder Fingerabdrücke zu sehen waren. Mit Block und Stift in der Hand nahm Skarvik auf einem der Sessel Platz.
    «Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, bevor wir anfangen?»
    «Nein danke.»
    «Sie melden sich, falls Sie es sich anders überlegen.»
    «Draußen schneit es wie verrückt.»
    «Ja, der Winter hält endgültig Einzug», sagte Skarvik und lächelte. «Ich find’s gemütlich.»
    «Darf ich das Fenster schließen?»
    «Es ist zu.»
    Nils lächelte gequält. «Was dagegen, wenn ich nachsehe?»
    «Nur zu.»
    Er ging zum Fenster. Warf einen Blick auf die Frau, die noch immer fröstelnd unter dem kleinen Dach stand. Sie schaute nach oben. Während er kontrollierte, ob das Fenster wirklich geschlossen war, musterte er sie. Sie sah ihn an. Ihr breites Lächeln war jetzt verschwunden. Er meinte, Verachtung in ihren Augen zu erkennen. Als hätte er ihr durch seine Nichtbeachtung psychischen Schmerz zugefügt. Er lächelte in sich hinein. Vielleicht waren Männer der Grund, warum sie hierherkam.
    Er ließ sich wieder in den Sessel sinken. Lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Rieb die Finger an der Hand.
    «Wissen Sie, wie oft Sie schon hier waren?»
    «Mit heute zweiunddreißig Mal.»
    «Hm.»
    Skarvik wartete einen Moment.
    Nils sah sich um. Ließ den Blick ziellos durch den Raum wandern, der ihm von seinen früheren Besuchen her bestens vertraut war. An der Wand über dem Bürostuhl hing Skarviks Diplom. Auf dem Regal hinter dem Schreibtisch waren die Familienbilder aufgereiht. Porträts von zwei Mädchen im Teenageralter, die den Fotografen anlächelten. Mit jenem dämlichen Lächeln, das jeder Fotograf seinem Gegenüber mit einem schlechten Witz oder einer Grimasse zu entlocken wusste. Und das Objekt vor der Linse lächelt dann peinlich berührt – weil sich der Fotograf so albern verhält. Die Ältere der beiden war hübsch. Maximal siebzehn und schon sexy. Das Leben würde wohl kaum große Sorgen für sie bereithalten. Vermutlich hatte sie längst herausgefunden, dass sie buchstäblich auf einer Goldgrube saß, für die Männer alles taten,

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