Kälteeinbruch (German Edition)
Mit der Zeit hatte er sie besser kennengelernt. Protest war zwecklos. Außerdem wollte er ohnehin nicht ins Haus. Das wusste sie auch, sie wollte sich nur aufspielen.
Anton machte eine Drehung um 180 Grad und sah zu Prytz und dem anderen Kriminaltechniker hinunter, der zusammen mit ihm aus Bryn gekommen war. Unterhalb des Grundstücks, auch an den Nachbargärten entlang, erstreckte sich, so weit das Auge reichte, ein etwa fünfzehn bis zwanzig Meter breiter Streifen mit Bäumen. Als hätte man damals, als das Wohngebiet vor Jahrzehnten gebaut wurde, einen Grünstreifen stehen lassen, damit die Gärten nicht unmittelbar in die dahinterliegenden Felder übergingen. Anton steckte die Hände in die Bauchtasche seines Kapuzenpullis und zog die Schultern hoch. Sein Atem hing als weiße Wolke vor dem Mund. Als sie in Bryn losgefahren waren, hatte das Quecksilber am Küchenfenster nur zwei Grad minus gezeigt, inzwischen musste es jedoch kälter geworden sein. Anton zog die Kapuze über den Kopf, um seine Ohren vor der Kälte zu schützen.
Sein Blick schweifte von den Kriminaltechnikern über den Garten in die offene Kellertür und wieder zurück. Anton war sich sicher, dass der Täter diesen Weg genommen hatte. Zur Straße hin wurde das Haus von vier, fünf Uhr nachmittags bis in den späten Vormittag von Straßenlaternen erleuchtet, und in Wohngegenden wie dieser gab es immer jemanden, der mitbekam, wenn etwas außer der Reihe geschah. Wo wenig passierte, bekamen die Leute in der Regel so gut wie alles mit, und in jeder Straße gab es wenigstens einen Neugierigen, dem nichts entging. Vor ein paar Jahren hatte eine solche Person der Polizei in Trondheim geholfen, einen gelegten Brand mit Todesfolge aufzuklären. Bereits nach anderthalb Tagen hatte Anton die Stadt wieder verlassen können. Die Frau hatte auf dem Fensterbrett sogar einen kleinen Block deponiert, in dem sie sämtliche Vorkommnisse in der Straße vermerkte. Parkte vor dem Nachbarhaus ein unbekannter Wagen, notierte sie nicht nur den Fahrzeugtyp, sondern auch die Farbe und das Kennzeichen – sofern sie Letzteres durch ihr Fernglas lesen konnte.
Eigentlich der reinste Wahnsinn, damals jedoch ziemlich praktisch.
Wenn man zur Orientierung nicht gerade eine Stirnlampe verwendete, konnte man sich hier hinten abends völlig unbemerkt bewegen. Anton machte sechs kleine Schritte in den Garten. Sah sich um. In den Morgenstunden war Neuschnee gefallen, eventuelle Fußspuren waren längst darunter verschwunden.
Ein Mann, den Anton auf Anhieb erkannte, kam in Begleitung eines jungen, uniformierten Polizisten den Hang herunter. Es war derselbe Polizist, der Anton vor wenigen Minuten vor dem Haus über die wichtigsten Punkte informiert hatte. Der andere trug eine braune Anzughose mit farblich passender Jacke. Es war die gleiche Montur, die er während seines einjährigen Einsatzes bei der Kriminalpolizei getragen hatte, weshalb ihn Anton und später dann alle anderen in der Ermittlungsabteilung nur noch Brownie genannt hatten. Polizeikommissar Ole Kval. Ein weißes Hemd umspannte seinen Bauch, der sich über den Gürtel wölbte. Sein Haar hatte sich gelichtet, die Geheimratsecken waren größer geworden, graue Haare waren dem abgespannten Polizeikommissar jedoch bislang erspart geblieben.
«Guten Tag, Anton», sagte Ole Kval und schüttelte seinem alten Kollegen die Hand, «schön, dass sie dich geschickt haben.»
«Die Freude ist ganz meinerseits», erwiderte Anton lächelnd. Er musterte die Tränensäcke unter Kvals Augen. Seit ihrer letzten Begegnung vor zwei Jahren waren sie noch größer geworden. Dafür war er um den Bauch herum schlanker. «Hast du abgenommen?» Anton gab ihm einen leichten Klaps auf die Wampe.
Kval nickte stolz. «Sechzehn Kilo.» Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an. «Ging allerdings zu Lasten eines anderen Lasters.» Er betrachtete die Zigarette. «Am Wochenende bin ich eingeknickt.» Er schmunzelte. «Aber an irgendwas muss man ja sterben.»
Anton war beeindruckt. «Dann fehlen dir jetzt nur noch sechzehn, oder?» Er grinste.
«Na ja, die Hälfte vielleicht. Noch acht, dann wäre ich schon zufrieden. Das Beste an der ganzen Sache ist, dass ich nur noch esse, was mir am meisten schmeckt.»
Ole Kval erläuterte ausführlich, wie eine Low-Carb-Diät funktionierte. Dass er Fett, Fleisch und Fisch in rauen Mengen essen konnte und die Kilos trotzdem purzelten.
«Hab davon gelesen, aber kein Wort
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