Kälteeinbruch (German Edition)
im Mordfall Martiniussen ermittelt hatte, wärmstens ans Herz legen. Einen Studenten, dem sein Dienst und alles, was damit zusammenhing, wichtiger waren als seine eigenen Bedürfnisse. Antons Fürsprache war so überschwänglich und übertrieben gewesen, dass Torp glaubte, er mache sich über ihn lustig. Doch auch wenn dem so war, spielte es keine Rolle: Torp bekam den Job. Und nach vierzehn Tagen im Streifendienst wurde ihm mitgeteilt, dass nun der Pflichtdienst in der Bereitschaftszentrale auf ihn warte.
«Dann vernimmst du heute Nachmittag Marion Finess», knurrte Ole Kval, als Anton über die Türschwelle trat.
«Ich hab doch schon gesagt, dass ich das mache, oder etwa nicht?»
«Kannst du mir mal verraten, wie ich das dem Revierleiter erklären soll?», fragte Kval und sah Anton verärgert an. «Das Milchgesicht da unten.»
Anton schloss die Bürotür hinter sich und plumpste auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
«Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen, Ole», sagte er ruhig. «Wenn du willst, kann ich mit dem Revierleiter sprechen. Das klärt sich schon alles. Mach dir keinen Kopf. Ich ruf ihn nachher an.»
«Tu das», sagte Kval und begann damit, einen ohnehin schon völlig ordentlichen Papierstapel geradezurücken.
Anton sah sich um. Das Büro wirkte fast so steril wie ein Operationssaal. Keine Pflanzen. Keine Zeichnungen von Kindern, mit denen Kval im Laufe seiner zwanzig Dienstjahre zu tun gehabt hatte. Das Mobiliar beschränkte sich auf die Dinge, die schon vor Kvals Einzug im Büro vorhanden waren: einen Schreibtisch mit PC , einen Büro- sowie einen Besucherstuhl und ein Regal gefüllt mit roten und blauen Aktenordnern.
Der einzige persönliche Gegenstand war ein gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch.
Jetzt meldete sich Antons schlechtes Gewissen, weil er unten so ruppig gewesen war. Er wusste um Kvals Situation, wusste von den Depressionen, der Angst, den Problemen zu Hause.
«Du denkst nicht mehr darüber nach, oder?», fragte Anton entgegenkommend.
«Solche Sachen kosten mich einfach wahnsinnig viel Kraft», antwortete er und starrte auf den schwarzen Bildschirm. «Du weißt, dass ich nicht viel Aufhebens um meine Person mache, aber ich bin der Meinung, dass ich ordentlich arbeite. Nicht so schnell und effektiv – und vielleicht auch nicht so gut – wie du, aber auf meine Art mache ich meinen Job gut.» Er sah Anton an. «Die Kripo war nichts für mich. Das hat nicht funktioniert.»
«Ich meine nicht die Kripo, Ole. Sondern das Gespräch unten. Mit Torp. Es tut mir leid, wenn du dich übergangen fühlst. Es ist ja nicht deine Schuld. Solche dämlichen Vorschriften provozieren mich einfach. Leute einfach in die Bereitschaftszentrale abzukommandieren … Mein Gott. Das ist ja wie in der Grundschule. Wenn man den Milchdienst für die gesamte Klasse aufgebrummt kriegt. Ich hab’s gehasst wie die Pest.» Anton lehnte sich zurück. Kratzte sich an der Nasenspitze. «Ich weiß noch, wie ich immer einen von den Strebern gezwungen habe, den Dienst für mich zu übernehmen. Gab ganz schön Ärger, als meine Lehrerin das spitzkriegte.»
«Was ich sagen wollte: Ich mache meinen Job auf meine Art. Und wie du arbeite ich am liebsten allein oder mit Leuten, auf die ich mich verlassen kann. Auf dich kann ich mich verlassen, Anton. Du verstehst dein Handwerk. Das wissen wir alle. Der Milchbubi da unten soll sich seine Lorbeeren erst mal verdienen. Ich kenn ihn nicht. Ich glaub nicht, dass er schon so weit ist, mit uns …»
«Entschuldige bitte, wenn ich dich unterbreche, aber ich hatte genau denselben Eindruck, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Ein zu groß geratenes Kind, das es aus unerfindlichen Gründen auf die Polizeihochschule geschafft hat. Eine Zeitlang war ich sogar davon überzeugt, dass er aufgrund einer Härtefall- oder Quotenregelung reingekommen war. Sein Zinken ist ja riesig. Die hielten ihn vielleicht für einen Araber?» Anton erwartete, dass Kval lächelte. Vergeblich. «Er war dumm wie Brot. Nein, das nehme ich zurück …», Anton runzelte die Stirn, «das wäre eine Beleidigung für das Bäckerhandwerk.»
Kval schmunzelte. Teilziel erreicht.
Anton grinste über den Schreibtisch zurück. «Aber dann hatte ich ihn in Fredrikstad eine Weile im Gepäck.»
«Beim Mordfall Martiniussen?»
«Ja.»
«Alle Achtung.»
«Wieso alle Achtung?»
«Dann stimmt’s also doch.» Kval verschränkte die Arme hinter dem Kopf. «Ein paar von den Jungs haben mitbekommen, wie
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