Kälteeinbruch (German Edition)
förmlich entgegen. «Und ausgerechnet die wollen den Leuten helfen? Hohles Geschwätz.» Er hob sein Pepsiglas. «Prost.»
Anton lehnte sich zurück. Beim dritten Glas fielen ihm auch seine eigenen Probleme wieder ein, obwohl die Leere, die Elisabeth bei ihm hinterlassen hatte, in Kvals Gegenwart an Intensität verloren hatte. Sein Gefühl der Einsamkeit konnte man nicht mit dem Verlust vergleichen, den Kval und seine Frau bei ihrem vermissten Sohn empfanden. Trotzdem konnte er an nichts anderes denken. Der beschissene Wein tat offensichtlich seine Wirkung.
«Hab ich dir von Herlov Langgaard erzählt?»
«Ja», antwortete Kval. «Aber falls es dir besser geht, wenn du es noch mal erzählst, nur zu.»
Mittwoch, 15 . Dezember
Kapitel 16
Anton schluckte gerade den letzten Bissen eines Snickers aus der Minibar hinunter, als Polizeikommissar Ole Kval mit seinem Privatwagen auf den Hof der Polizeiwache in Sarpsborg fuhr. Zwei Polizistinnen schienen gleichzeitig zu einer Streifenfahrt aufzubrechen. Sie stolzierten über den Platz und setzten sich in einen Dienstwagen. Beide hatten ihre Haare zu Pferdeschwänzen zusammengebunden. Anton sah ihnen hinterher. Sie mussten etwa Mitte zwanzig sein. Schlank, und obwohl sie in ausgebeulten Uniformhosen steckten, konnte Anton erkennen, wie durchtrainiert ihre Körper waren.
Er seufzte. «Da drüben sitzen zwei der Vorteile, wenn man bei der Schutzpolizei arbeitet.» Anton stierte zu ihnen hinüber. «So was sucht man in Bryn vergebens. Abgesehen von ein paar Mädels bei der Spurensicherung, aber die spielen nicht in derselben Liga wie die beiden dort. Oder doch, zurzeit haben wir eine Auszubildende in der Abteilung.» Er pfiff. «Hab sie bei der Weihnachtsfeier gar nicht gesehen. Das war vielleicht auch besser so. Hätte sonst bestimmt alle Hemmungen fallen lassen.»
«Wovon sprichst du? Den Mädchen?»
«
Mädchen
? Du sagst das, als wäre ich ein alter Sack, Kval. Das sind erwachsene Frauen. Zehn, maximal fünfzehn Jahre jünger als ich.» Er knüllte das Snickerspapier zusammen und stopfte es ins Handschuhfach. «Ja, ich meinte deine beiden
Kolleginnen
.»
«Nur zur Info, ich bin glücklich verheiratet.»
«Niemand ist glücklich verheiratet», erwiderte Anton. «Und du schon gar nicht.»
Kval sah in den Rückspiegel und parkte rückwärts zwischen zwei anderen Fahrzeugen ein. «Woher willst du das wissen?» Seine Stimme klang nicht verärgert. Nicht im Geringsten.
«Na schön, lass gut sein. Aber du willst mir doch nicht erzählen, dass du bei denen nicht mal einen Blick riskierst?»
«Eigentlich nicht.»
Anton schüttelte den Kopf. «Meine Güte.» Er drehte sich zu Kval. «Solange man nicht mit den Fingern guckt, ist es doch in Ordnung.»
Kval runzelte die Stirn. Anton konnte nicht erkennen, ob es ein Zeichen völliger Gleichgültigkeit war oder ob sein Kollege schlichtweg kapituliert hatte. Sie betraten das Erdgeschoss durch die Hintertür. Kval teilte Anton mit, dass er kurz in die Bereitschaftszentrale müsse, und beschleunigte seine Schritte. Anton folgte ihm in gemächlicherem Tempo.
Die drei Personen, die auf der Bank vor der Bereitschaftszentrale darauf warteten, einen gestohlenen Geldbeutel oder ein entwendetes Handy zu melden, hielten Anton wohl eher für einen Herumtreiber, den man nach einer Nacht in der Zelle soeben wieder freigelassen hatte, als für einen Polizisten. Gekleidet in einen einfachen Kapuzenpulli, eine braune Lederjacke und Jeans schlurfte er mehr oder weniger orientierungslos durch eine ihm unbekannte Polizeiwache und sah sich um. Hätte er die Kapuze aufgehabt, wären die drei auf der Bank seinem Blick höchstwahrscheinlich ausgewichen. Er ließ sich am Ende der Bank neben einer Frau im Hidschab nieder. Rutschte mit dem Hintern ganz nach vorn und verschränkte die Arme. Nach einer Weile schlug er auch die Beine übereinander. Durch die Glasscheibe konnte Anton weiter hinten im Raum Kvals charakteristisches Profil erkennen. Seine Kinnpartie schlotterte wie bei einem Truthahn, während er mit einem uniformierten Kollegen sprach. Die beiden verschwanden in einen anderen Raum und somit aus Antons Blickfeld. Er schaute nach links. Da entdeckte er ihn. Die breite Stirn, die auf der anderen Seite der Scheibe hinter dem Auskunftsschalter zu erkennen war. Die Haare des Polizisten waren schwarz und kurz geschnitten, aber doch so lang, dass es für so etwas wie eine Frisur reichte: Der kurze Pony stand senkrecht nach oben.
Anton erhob sich.
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