Kälteeinbruch (German Edition)
er Kollegen unten in der Kantine erzählt hat, er hätte den Fall gelöst.»
Anton lachte laut. «Hat er das gesagt?»
«Oh yes.»
«Ja, ja. Manchmal übertreibt er ein wenig. Aber er war dabei. Hat jede Menge gelernt. Anders gesagt:
Ich
habe ihm jede Menge eingetrichtert. Ob’s was gebracht hat, werden wir bald wissen. Er ist wirklich mit Feuereifer dabei. Meinst du nicht, es wäre okay, wenn er mitkommt? Irgendjemand muss doch mal unsere Nachfolge antreten. Und wenn er schon von jemandem lernt, dann kann er auch gleich von den Besten lernen.» Er verzog den Mund zu einem Grinsen.
«Okay, aber auf deine Verantwortung. Der Chef ist ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen, weil ich kein Jasager bin.»
«Wer will schon ein Jasager sein? Dafür sind doch die Blauhemden dort unten da.»
Das runde Gesicht hinter dem Schreibtisch grinste jetzt von einem Ohr zum anderen. «Anton Brekke – der Mann, der die Streifenpolizisten hasst.»
«Ganz so würde ich das nicht ausdrücken. Du kannst deinen Revolver wieder wegstecken, Sheriff.»
Kurz nach halb neun verließen Anton und Polizeikommissar Ole Kval das Büro und begaben sich ins Erdgeschoss des Polizeireviers. Die Bereitschaftszentrale war leer, und die Leute, die vorhin noch auf der Bank gewartet hatten, lebten mittlerweile in dem Glauben, der nette junge Polizist würde das Rätsel um ihre vermissten Handys und Geldbeutel lösen. Sie wussten nicht, dass der junge Polizist lediglich ihre Anzeige entgegennahm und das Ganze dann an die Strafverfolgung weiterleitete, wo der zuständige Sachbearbeiter bevollmächtigt war, den Fall mehr oder weniger sofort einzustellen. Es fehlten schlichtweg die Ressourcen – oder der Wille –, Zeit auf solche Bagatelldelikte zu verwenden.
«Sie wissen, dass Sie hierfür keine Überstunden abrechnen können?», sagte Polizeikommissar Kval und sah Torp skeptisch an, der inzwischen seine Uniform gegen eine dunkelgrüne Hose mit ausgebeulten Taschen und einen weißen Rollkragenpullover getauscht hatte. Dabei hatte er nicht versäumt, sich seinen Polizeiausweis an einem Band um den Hals zu hängen. Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass er Polizist war.
«Das macht nichts», erwiderte Torp.
Anton klatschte in die Hände. «Ich brauch was zu beißen, bevor wir nach Nygårdshaugen fahren. Ich hab seit gestern nichts Vernünftiges mehr in den Magen bekommen.»
«Jetzt mach aber mal ’nen Punkt, Anton, du hast doch gestern Abend bei mir gegessen.»
«Eben.»
Ein einsames Polizeiauto stand vor dem Einfamilienhaus im Stadtteil Nygårdshaugen. Der Polizist hinter dem Lenkrad, der offensichtlich den Tatort bewachte, sah auf und nickte den dreien höflich zu. Magnus Torp parkte Stoßstange an Stoßstange. Die frische Luft draußen war eine Wohltat. Im Auto stank es nach Fastfood. Torp nahm die leere Pappschachtel mit und warf sie in die Mülltonne vorm Nachbarhaus, bevor er sich Anton und Kval anschloss.
«Ich versteh das nicht», setzte Kval an, während sie auf die Eingangstür zugingen. «Wie könnt ihr euren Körpern so viel Gift zumuten?»
Kval hatte angefangen zu nerven, sobald sie das Essen bestellt hatten.
Im Erdgeschoss war es ruhig.
Anton nahm sich ein Fisherman’s Friend aus einer verkrumpelten Tüte, die er in der Tasche seiner Lederjacke entdeckt hatte. Er lutschte eine Weile daran herum, dann zermalmte er die Pastille zwischen den Backenzähnen. Kauend sah er sich im Wohnzimmer um. Auf dem scheußlichen Teppichboden standen überall große und kleine Gipsfiguren. An der Längswand vor der Küche hingen zehn Teller mit einem lila Pyramidenmuster. Eine brusthohe Holzvertäfelung schmückte das Wohnzimmer, helle Planken zu einer dunkelroten Tapete. An den Wänden hingen großformatige Gemälde mit breiten Messingrahmen. Ihre Motive erinnerten Anton an Bilder, die er schon hundertfach gesehen zu haben meinte. Ein höchstens vierjähriger Junge in einem kleinen Ruderboot. Eine Frau am Strand. Dann noch ein kleiner Junge, der an einem Brunnen stand. Er sah dem Jungen auf dem ersten Bild sehr ähnlich.
Anton ging zu der Schrankwand neben dem Sofa. Er öffnete die beiden unteren Glasflügeltüren. Auf dem Plattenspieler lag eine Schallplatte mit orangefarbenem Etikett.
Charles Trenet – La Mer
stand in schwarzer Schrift darauf. Anton stellte sich vor, wie hier zwei Menschen gelebt hatten. Vielleicht hatten sie sogar engumschlungen auf dem alten Teppich getanzt, auf dem er jetzt stand. Er schaltete den
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